Auszeichnung

Integrationsforschungspreis

Wissenschaftliche Arbeiten zum Themenbereich Integration sind eher selten und in der Öffentlichkeit kaum sichtbar. Das Ministerium für Integration Baden-Württemberg hat 2013 erstmals einen Integrationsforschungspreis vergeben, um das Wissen über Integrationsprozesse zu erweitern und öffentlich bekannter zu machen.

Mit dem Preis werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewürdigt, die sich in ihren Qualifikations- und Forschungsarbeiten dem Thema Integration gewidmet haben. Der Preis soll dazu beitragen, weitere Forschung zum Themenkomplex Integration anzuregen.

Der Integrationsforschungspreis war mit insgesamt 12.500 Euro dotiert. Er wurde in den zwei Kategorien akademische Abschlussarbeit und Forschungsarbeit vergeben. Die Verleihung des Integrationsforschungspreises fand am 12. Dezember 2013 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg statt.

Kategorie Forschungsarbeit

Preisträgerin: Dr. Seda Tunç

Dissertation an der Universität Stuttgart, Thema: „Der Einfluss der Erstsprache auf den Erwerb der Zweitsprache: Eine empirische Untersuchung zum Einfluss erstsprachlicher Strukturen bei zweisprachig türkisch-deutschen, kroatisch-deutschen und griechisch-deutschen Hauptschülern und Gymnasiasten.“ Münster/New York/München/Berlin: Waxmann, 2012, 260 Seiten (ISBN 978-3-8309-2714-3).

Frau Tunç hat zunächst die typologischen Merkmale des Kroatischen, Griechischen und Türkischen im Kontrast zur Struktur des Deutschen herausgearbeitet. Dann erhob sie in einer eigenen empirischen Studie den Sprachstand von jeweils rund 30 zweisprachigen Schülerinnen und Schülern jeder Herkunftslandgruppe, sowohl an Hauptschulen, als auch an Gymnasien. Zusätzlich hat sie den Sprachstand von einsprachigen Schülerinnen und Schülern in beiden Schultypen in Baden-Württemberg, Kroatien, Griechenland und der Türkei festgestellt.

Die Analysen von Seda Tunç zeigen nicht nur, dass die Strukturmerkmale der Erstsprache Einfluss auf die Art der beobachtbaren Fehler der Zweitsprache – also des Deutschen – haben. Mangelnde Kompetenz der Erstsprache führt häufig dazu, dass sich die Art der Fehler auch auf die Zweitsprache überträgt.

Die Forscherin stellt fest, dass mangelnde Kenntnisse der Erstsprache nicht zwangsläufig mangelnde Kenntnisse der Zweitsprache oder Misserfolg in der Schule zur Folge haben. Die frühe Berücksichtigung der Erstsprachenkompetenz beim Erlernen der deutschen Sprache ist jedoch wichtig. Daher sollten Lehrerinnen und Lehrern, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten, die wichtigsten Strukturmuster der gängigen Herkunftssprachen bekannt sein. Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler können sich so frühzeitig bewusst werden, welche strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden gesprochenen Sprachen bestehen. Dann fällt auch die Entscheidung leichter, ob eine kombinierte Spracherziehung nötig ist oder ob eine reguläre Sprachförderung in der Zweitsprache ausreicht.

Die Jury stellt fest: Frau Tunç ist einer komplexen Forschungsfrage mit einem methodisch sehr anspruchsvollen Untersuchungsdesign eigenständig nachgegangen. Der Autorin ist dadurch ein wichtiger Grundlagenbeitrag in einem höchst integrationsrelevanten Praxisfeld gelungen. Die Arbeit überbrückt souverän und beispielhaft den sogenannten  knowledge gap  zwischen Integrationsforschung und dem eigenen Arbeitsfeld Schule. Die Integrationsforschungsleistung von Frau Tunç verdient hohe Anerkennung und ist würdig, mit dem Integrationsforschungspreis ausgezeichnet zu werden.

Zur Person: Frau Dr. Seda Tunç studierte zwischen 1998 und 2005 an der Universität Stuttgart die Fächer Deutsch und Englisch für das gymnasiale Lehramt. Nach Beendigung ihres Referendariats war sie von 2008 bis 2011 Akademische Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.

In dieser Zeit promovierte sie an der Universität Stuttgart bei der Linguistin Professor Dr. Artemis Alexiadou, die 2014 den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten hat.

Sowohl in der Forschung als auch in der Lehre lag Frau Dr. Tunçs Schwerpunkt in den Bereichen Mehrsprachigkeit, Deutsch als Zweitsprache und interkulturelles Lehren und Lernen. Das Hauptaugenmerk setzte sie auf die Entwicklung geeigneter und den sprachlichen Bedürfnissen der zweisprachigen Schülerschaft angepassten Sprachförderkonzepte unter Berücksichtigung der jeweiligen Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler. Neben ihren Forschungen zum Einfluss erstsprachlicher Strukturen auf den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache initiierte Frau Dr. Tunç verschiedene Sprachförderprojekte und bemühte sich um eine Verzahnung von theoretischen Erkenntnissen mit einer praxisnahen Durchführung geeigneter Sprachfördermaßnahmen für sowohl ein- als auch zweisprachig aufwachsende Schülerinnen und Schüler.

Des Weiteren ist Frau Dr. Tunç seit einigen Jahren Fortbilderin für Erzieher/innen, Lehrer/innen und Sprachförderlehrkräfte. Seit 2011 ist Frau Dr. Tunç Studienrätin an der Jörg-Ratgeb-Schule in Stuttgart.

Kategorie Abschlussarbeit

Preisträgerin: Daniela Gress M.A.

Masterarbeit an der Universität Heidelberg, Titel: „Lasst uns unser Recht fordern“ - Die Anfänge der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland (unveröffentlicht).

Frau Gress widmet sich in ihrer zeitgeschichtlichen Arbeit der Entstehung und den ersten öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma, die für die Anerkennung des NS-Völkermordes an der Minderheit kämpft. Sie beschreibt dazu exemplarisch zwei Protestaktionen der Bewegung: eine Gedenkkundgebung im Jahr 1979 im KZ Bergen-Belsen und den Hungerstreik im KZ Dachau im Jahr 1980.

Frau Gress hat umfassende, bisher nicht systematisch erschlossene Primärquellen in Archiven und Medien ausgewertet. Sie zeigt, dass Integration nicht immer als geräuschlose Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft von statten geht. Der Integrationsprozess beginnt unter anderem dadurch, dass Angehörige der Minderheit die Missstände und die Ungleichbehandlung anprangern. Sie starten dazu eine systematische Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärungskampagne. Zudem beschreibt Frau Gress die Rolle der Medien in diesem Prozess der kritischen Auseinandersetzung mit der Situation der Sinti und Roma.

Die Jury ist der Ansicht, dass Frau Gress mit Ihrer Arbeit die Anfänge der Bürgerrechtsbewegung umfassend, präzise und sorgfältig erarbeitet hat. Die Masterarbeit sensibilisiert für Desintegrationsprozesse und wie die Betroffenen durch ihr Engagement und ihren Protest zu einem konstruktiven Integrationsprozess beigetragen haben.

Zur Person:  Daniela Gress studierte von 2006 bis 2010 Neuere, Neueste und Technikgeschichte sowie Kulturwissenschaften und Kulturarbeit an der Universität Karlsruhe. 2010 begann sie ein Masterstudium der Neueren und Neuesten Geschichte an der Universität Heidelberg. Während ihres Studiums war Daniela Gress als studentische Hilfskraft an den Universitäten Karlsruhe und Heidelberg tätig. Von 2012 bis 2013 arbeitete sie in dem Forschungsprojekt „Rot-Grün an der Macht“ am Lehrstuhl für Zeitgeschichte von Prof. Dr. Edgar Wolfrum am Historischen Seminar der Universität Heidelberg.

Im April 2013 begann Daniela Gress mit ihrem Dissertationsprojekt über die „Die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland“, das mit einem Stipendium der Manfred Lautenschläger-Stiftung gefördert wird.

Weiterhin arbeitet sie am Lehrstuhl für Zeitgeschichte und wirkt dort am Aufbau des Arbeitsbereiches „Minderheitengeschichte und Bürgerrechte in Europa“ mit.

Lobende Erwähnung

Anerkennung: Sina Hagel B.A.

Bachelorarbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg - Ravensburg, Titel: „Integration von Flüchtlingen auf lokaler Ebene. Welchen Beitrag kann Design leisten, um die Integration von Flüchtlingen zu erleichtern und Gegensätze, Vorurteile und Widerstände abzubauen, die in den kulturellen Unterschieden begründet sind?“

Die Jury lobt die Arbeit von Frau Hagel ausdrücklich. Das Ministerium für Integration erkennt ihre Leistung in Form eines Buchgutscheins ausdrücklich an.

In Ihrer Arbeit hat Frau Hagel eine Informations- und Unterstützungskampagne erarbeitet, wie die Aufnahme und der Eingewöhnungsprozess von syrischen Flüchtlingen in Oggelsbeuren im Landkreis Biberach gestaltet und unterstützt werden kann. Dabei setzt sie an Ängsten und Bedenken der Oggelsbeurer an, die sich auf die kulturellen Unterschiede beziehen. Frau Hagel entwickelte dazu u.a. Plakate und Zeitungsanzeigen, eine Infoveranstaltung, eine Paket-Aktion, Buttons sowie Postkarten mit Hilfsangeboten, die Einzelpersonen oder Vereine den ankommenden Flüchtlinge senden können.

Die Jury

Professorin Dr. Aschenbrenner-Wellmann
Evangelische Hochschule Ludwigsburg

Dr. René Leicht
Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim

Professorin Dr. Ulrike Zöller
Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes

Professor Dr. Stefan Immerfall
Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd

Juniorprofessorin Dr. Anna Lipphardt
Universität Freiburg

Professor Dr. Süleyman Gögercin
Duale Hochschule Villingen-Schwenningen

Beratend (ohne Stimmrecht):

Ministerialrat Gerhard Bauer
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst

Ministerialrat Dr. Andreas Wüst
Ministerium für Integration

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