Bilanz

Fünf Jahre UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland

Am 26. März 2014 jährt es sich zum fünften Mal, dass die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen als völkerrechtlicher Vertrag für Deutschland rechtsverbindlich ist. „Seitdem wird in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zwar viel von Inklusion geredet, aus der Sicht betroffener Menschen, die jetzt und heute inklusiv leben wollen, braucht die Umsetzung mehr Zeit als erwartet und bleibt damit hinter den Erwartungen zurück“, zog der Landes-Behindertenbeauftragte, Gerd Weimer, heute in Stuttgart Bilanz.

Wenn aktuell von der UN-Behindertenrechtskonvention bzw. von Inklusion gesprochen werde, richte sich der Fokus auf den Bereich der schulischen Bildung. In Baden-Württemberg habe sich die Novellierung des Schulgesetzes zur Umsetzung der rechtsverbindlichen Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention um ein Schuljahr verzögert. Die inklusive Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen sei jedoch überall dort vorangekommen, wo sich Eltern, Schule, Schulträger und die Eingliederungs- bzw. Jugendhilfe zusammengesetzt haben, um gemeinsam Lösungen entsprechend dem Elternwunsch zur Bestimmung des Lernortes für ihre Kinder zu suchen. „Dass trotz klarer Vorgaben der UN-Konvention für ein durchgängig inklusives Bildungssystem wie jüngst in Walldorf die Gesamtlehrerkonferenz eines Gymnasiums meint, Inklusion gehe sie nichts an, ist ein fatales Signal und eine große Enttäuschung für Eltern von Kindern mit Handicap. Dies zeigt, dass wir rasch rechtlich Klarheit im Schulgesetz brauchen, damit Betroffene sich nicht weiter als Bittsteller fühlen müssen, sondern ihr verbrieftes Recht auf Gleichberechtigung und Teilhabe geltend machen können“, betonte Gerd Weimer. Er sei jedoch zuversichtlich, dass Kultusminister Andreas Stoch MdL kurzfristig mit seinen Eckpunkten für die Novellierung des Schulgesetztes bzw. notwendigen Übergangsregelungen die Weichen für alle Betroffenen in Richtung „eine Schule für alle“ stellen werden. Ganz wichtig sei es aber auch, den vom Kultusminister für die Umsetzung der Eckpunkte ermittelten inklusionsbedingten Mehrbedarf an zusätzlichen Deputaten bereitzustellen. „Es muss unbedingt vermieden werden, dass wir wegen fehlender Ressourcen Gefahr laufen, Inklusionsverlierer zu produzieren. Wenn wir zumindest mittelfristig zwei qualitativ hochwertige Systeme anbieten müssen, bedeutet dies zwangsläufig die Bereitstellung zusätzlicher Lehrerstellen. Die vom Kultusministerium kalkulierten zusätzlichen Deputate sind für mich absolut nachvollziehbar und zwingend notwendig. Ich appelliere daher an den Herrn Minister für Finanzen und Wirtschaft, Dr. Nils Schmidt MdL, diese Stellen zusätzlich zu bewilligen, damit das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderungen im Land zum Normalfall werden kann“, forderte Gerd Weimer.

Auf der anderen Seite bringe selbst die UN-Behindertenrechtskonvention mit dem Grundsatz der progressiven Realisierung zu Ausdruck, dass eine umfassend inklusive und barrierefreie Gesellschaft nicht von heute auf morgen entsteht. „Nachdem es den Urknall der Inklusion nicht gibt, müssen Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft den Prozess nachhaltig organisieren und aktiv gestalten, und zwar unter Beteiligung von Menschen mit Behinderungen“, so Gerd Weimer. Ein wichtiger Meilenstein sei hierbei die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem System der sozialen Fürsorge durch die Schaffung eines eigenständigen Bundesteilhabegesetztes mit einem einkommens- und vermögensunabhängigen Bundesteilhabegeld. „Dazu muss der Bund Geld in die Hand nehmen und auch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Entlastung der Kommunen in Höhe von fünf Milliarden Euro einlösen, und zwar beginnend ab sofort und nicht erst ab dem Jahr 2015“, forderte der Landes-Behindertenbeauftragte. Dabei müsse auch bewusst werden, dass dieses Geld der Verbesserung der Teilhabe behinderter Menschen und nicht allein der Haushaltskonsolidierung diene. „Die Gewährleistung der Teilhabe ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss auch von der Solidargemeinschaft finanziert werden. Die Kommunen dürfen dabei nicht alleine gelassen werden“, appellierte Gerd Weimer an die Bundesregierung in Berlin.

In Baden-Württemberg seien in den letzten beiden Jahren wichtige Weichenstellungen in Richtung Inklusion vorgenommen worden. „In vier Regionalkonferenzen haben in einem bundesweit einmaligen Prozess knapp 800 persönlich betroffene Menschen, überwiegend außerhalb verbandlicher Strukturen, aus ihrer ganz persönlichen Sicht Vorschläge gemacht, welche konkreten Maßnahmen zur Gewährleistung einer gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Teilhabe zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention notwendig sind. Auf dieser Grundlage wird die Landesregierung einen Aktionsplan zur UN-Behindertenrechtskonvention erarbeiten“, sagte Gerd Weimer.

Darüber hinaus stehe im Land mit dem so genannten Gültsteinprozess die Inklusion im Sozialraum im Mittelpunkt von Teilhabeplanung und Förderung des selbstbestimmten Wohnens. „Auch der erstmals ausgeschriebene Landesinklusionspreis für Baden-Württemberg wird in den vier Kategorien „Wohnen“, „Arbeiten“, „Freizeit, Kultur, Sport“ und „Bildung und Erziehung“ Leuchtturmbeispiele sichtbar machen, wie und wo Inklusion auf vielfältige Weise im Land aktiv gelebt wird“, so der Landes-Behindertenbeauftragte. Damit werde auch ins öffentliche Bewusstsein gerückt, dass Inklusion keine Zuschauer, sondern ausschließlich Aktive kenne und von der gesamten Gesellschaft Veränderungen im Denken und Handeln erfordere. „Dabei muss immer wieder betont werden, dass es nicht um Sonderrechte für Menschen mit Behinderungen, sondern um Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung geht“, unterstrich Gerd Weimer.

Quelle:

Der Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
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