Teilhabe

Landes-Behindertenbeirat fordert Nachbesserungen beim Bundesteilhabegesetz

Der Landes-Behindertenbeirat hat in seiner Sitzung am 19. September 2016 in Stuttgart unter der Leitung des scheidenden Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen Nachbesserungen bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Bundesteilhabegesetz gefordert und sich dabei dem Aufruf eines bundesweiten Bündnisses „Nachbesserung jetzt“ angeschlossen. „Teilhabe jetzt“, brachte der Landes-Behindertenbeauftragte, Gerd Weimer, die Forderungen für ein Bundesteilhabegesetz, das den Namen verdient und das Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen verbessert, auf den Punkt.

„Nachdem die erste Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung am kommenden Donnerstag auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestags steht und das Gesetz ein sogenanntes Zustimmungsgesetz im Bundesrat ist, kommt es jetzt auf der Zielgeraden des Gesetzgebungsverfahrens darauf an, besondere Härten und Unvereinbarkeiten mit den menschenrechtlichen Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zu vermeiden. Die Landesregierung solle sich den von einer breiten Allianz getragenen zentralen Anliegen von Menschen mit Behinderungen bei den bevorstehenden Beratungen des Bundesteilhabegesetzes und des Pflegestär-kungsgesetzes III annehmen“, appellierte Gerd Weimer.

Der Landes-Behindertenbeirat sieht beim geplanten Bundesteilhabegesetz die Gefahr von Leistungseinschränkungen und Verschlechterungen gegenüber dem geltenden Recht. Deshalb forderte er Nachbesserungen am aktuellen Gesetzentwurf, insbesondere durch die Berücksichtigung folgender Punkte bei den weiteren Beratungen des Gesetzentwurfs im Bundesrat:

  1. Der Bundesgesetzgeber ist in der Pflicht und darf die Eingliederungshilfe nicht in die Gesetzgebungskompetenz der Länder geben, um bundesweit gleichwertige Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.
  2. Es darf keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises geben.
    Die Messlatte, um künftig überhaupt Eingliederungshilfe zu erhalten, ist viel zu hoch angesetzt. Es droht, dass erwachsene Menschen und Kinder mit Entwicklungsstörungen und mit Beeinträchtigungen in weniger als fünf von neun Lebensbereichen einfach aus dem Hilfesystem herausfallen oder dass die Hilfe nur nach Ermessen gewährt wird. Dies wäre ein Paradigmenwechsel im System der sozialen Sicherung, da für diese Menschen die Eingliederungshilfe als nachrangiger Rehaträger wegfallen würde. Deshalb fordern wir, auf die Einschränkung des Personenkreises (fünf von neun Lebensbereichen) zu verzichten.
  3. Es darf keine Leistungsausschlüsse oder Leistungseinschränkungen geben.
    Das Bedarfsdeckungsprinzip muss auch in der reformierten Eingliederungshilfe fortgelten, Teilhabeleistungen müssen auch präventiv zur Vermeidung einer drohenden Behinderung gewährt werden. Die Grundsätze „Reha vor Pflege“ bzw. „ambulant vor stationär“ müssen ins Gesetz übernommen werden, damit die rehabilitative Ausrichtung der Eingliederungshilfe für alle Leistungen auch in Zukunft umfassend erhalten bleibt. Entsprechend dem elementaren Menschenrecht der „freien Wahl von Wohnort und Wohnform“ darf das Wunsch- und Wahlrecht nicht durch den Zwang, Leistungen gemeinsam zu nutzen, eingeschränkt werden. Sogenannte „gepoolte Unterstützungsleistungen“ darf es nur mit Zustimmung der Betroffenen geben.
  4. Bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung muss nachgebessert werden.
    Es ist an dem Ziel festzuhalten, dass Unterstützung wegen einer Behinderung als Nachteilsausgleich im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ausgestaltet und unabhängig vom Einkommen und Vermögen geleistet werden muss. Deshalb fordern wir ein klares Ausstiegsszenario im Bundesteilhabegesetz. Auch die Menschen, die neben den Leistungen der Eingliederungshilfe auf Grundsicherung angewiesen sind, müssen von den Verbesserungen beim Eigenbeitrag profitieren und auch ein Recht auf Sparen haben. In ihrem Interesse muss der aktuelle Vermögensfreibetrag von 2.600 Euro ebenso verbessert werden. Werden Einkommens- und Vermögensfreigrenzen in der Eingliederungshilfe heraufgesetzt, muss dies auch für die Leistungen der Hilfe zur Pflege gelten, soweit Menschen mit Behinderungen diese parallel erhalten, um Be-nachteiligungen für die Betroffenen zu vermeiden.
  5. Pflege und Eingliederungshilfe dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
    Durch den Vorrang der Pflege ist zu befürchten, dass pflegebedürftige Menschen keine Eingliederungshilfen mehr erhalten. Deshalb lehnen wir den beabsichtigen Vorrang der Pflege vor Eingliederungshilfe ab; es muss immer heißen „Teilhabe und Pflege“ und nicht „Teilhabe oder Pflege“. Auch eine Ausweitung der pauschalen Abgeltung der Leistungen der Pflegeversicherung nach § 43a SGB XI auf eine Vielzahl von ambulant betreuten Wohngemeinschaften durch eine Anknüpfung an das zivilrechtliche Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz lehnen wir ab. Dies würde weitere Personenkreise vom gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung ausschließen und diese Menschen in stationäre Pflegeeinrichtungen drängen, wobei schwerst mehrfachbehinderte Menschen besonders betroffen wären.
  6. Auch im ersten Teil (Regelungen für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen) und im dritten Teil (Schwerbehindertenrecht) des SGB IX ist nachzubessern.
    Der Zugang zu Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe muss für alle Menschen umfassend in allen Lebenslagen ermöglicht werden. Daran müssen alle Rehabilitationsträger abgestimmt mitwirken. Für die Eingliederungshilfe darf kein Sonderrecht geschaffen werden, sie muss sich hier einpassen und denselben Verfahrensregelungen des SGB IX, 1. Teil, wie alle Rehabilitationsträger folgen. Bei der Teilhabe am Arbeitsleben ist zu gewährleisten, dass Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf nicht wegen Art und Schwere der Behinderung von den entsprechenden Leistungen, einschließlich beruflicher Bildung, ausgeschlossen werden.
  7. Betroffenenrechte dürfen nicht indirekt, z. B. über schlechte finanzielle und vertragliche Rahmenbedingungen für Anbieter, beschnitten werden.
    Die geplante Trennung von existenzsichernden Leistungen und Teilhabeleistungen darf nicht zu Leistungslücken zulasten der behinderten Menschen führen. Kosten der Unterkunft und des Lebensunterhalts sind weiter umfassend zu finanzieren – unabhängig vom Lebensort.

Gerd Weimer abschließend: „Ich appelliere an die Landesregierung, das sie sich diese Forderungen zu eigen macht und über den Bundesrat dafür sorgt, dass das Bundesteilhabegesetz doch noch ein richtig gutes Gesetz wird“.

Quelle:

Der Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
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