Sozialministerin Katrin Altpeter hält trotz mancher Widerstände daran fest, dass es in Pflegeheimen und Heimen für Menschen mit Behinderungen vom 1. September 2019 an im Wesentlichen nur noch Einzelzimmer geben darf. Neue Richtlinien bieten durch transparente Ermessenskriterien nun mehr Rechts- und Planungssicherheit für die Heimträger.
Die entsprechende Übergangsfrist von 10 Jahren wurde in der Landesheimbauverordnung festgeschrieben, die zum 1. September 2009 in Kraft getreten war. Darin werden zum Beispiel Vorgaben zu Standorten und Einrichtungsgrößen von Heimen gemacht (wohnortnah, nicht mehr als 100 Plätze) und Einzelzimmer werden vorgeschrieben, soweit Heime keine Wohnungen zur individuellen Nutzung bereitstellen.
Richtlinien für mehr Rechts- und Planungssicherheit für Heimträger
In einem aufwändigen Abstimmungsprozess wurden nun so genannte „Ermessenslenkende Richtlinien“ zur Anwendung der Landesheimbauverordnung erarbeitet und verabschiedet, insbesondere zu möglichen Ausnahmen und Befreiungen von der Einzelzimmervorgabe.
Ministerin Altpeter: „Diese Richtlinien sind eine praxisorientierte Auslegungshilfe für die Heimaufsichtsbehörden im Land und sie bieten durch transparente Ermessenskriterien mehr Rechts- und Planungssicherheit für die Heimträger.“
Die Ausarbeitung dieser Richtlinien wurde Altpeter zufolge von einer gemischt besetzten Arbeitsgruppe in einem Zeitraum von rund zwei Jahren begleitet. Vertreter der Leistungserbringer, der Pflegekassen, der Kommunen und des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg hätten in der Arbeitsgruppe mitgewirkt. „Es war mir ein Anliegen, die verschiedenen Fachkompetenzen in das Verfahren einzubinden“, erläuterte die Ministerin. „Dabei konnten viele der Anregungen aus diesem Kreis aufgenommen werden.“
Nach den Worten von Ministerin Altpeter ist dadurch ein Interessenausgleich zwischen Heimträgern und Aufsichtsbehörden gelungen, weil die Frage der Einzelzimmer, der Wohngruppen sowie der Übergangs-, Befreiungs- und Ausnahmeregelungen transparent und für alle nachvollziehbar geregelt sei. „Einer flächendeckenden Umsetzung der Verordnung steht nun nichts mehr im Wege.“
Geschützte Privatsphäre auch für pflegebedürftige Menschen
Die Ministerin machte zugleich deutlich, dass im Interesse der pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit Behinderungen an der Einzelzimmervorgabe grundsätzlich nicht gerüttelt wird. Sie verband damit zugleich ein Lob für all jene Einrichtungsträger, die die Einzelzimmervorgabe und die anderen baulichen Vorschriften der Landesheimbauverordnung bereits umgesetzt haben.
Altpeter: „Einzelzimmer gewähren auch in Heimen eine geschützte Privat- und Intimsphäre. Das Bedürfnis danach wird angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen in Zukunft noch weiter zunehmen. Die Achtung der Würde und der Selbstbestimmung sowie eine gute Lebensqualität für die in Heimen wohnenden Menschen sind für mich ein unverzichtbares Element unserer Pflegepolitik. Das Einzelzimmer als persönlicher und geschützter Rückzugsort ist dabei von zentraler Bedeutung.“
Die Landesheimbauverordnung zwingt niemanden allein zu leben
Ministerin Altpeter wies ausdrücklich darauf hin, dass niemand gezwungen werde, in einem Heim alleine zu leben. Die Landesheimbauverordnung lasse Wohneinheiten von zwei Personen ausdrücklich zu. Sie verhindere aber, dass Betroffene gegen ihren Willen mit Unbekannten in einem Zimmer zusammenleben müssen, weil kein Einzelzimmer für sie da ist. Mit den flexiblen Raumkonzepten, die die Landesheimbauverordnung zulasse und ermögliche, könnten alle „Vorteile“ von Doppelzimmern genutzt und gleichzeitig deren Nachteile vermieden werden.
„Wenn etwa zwei Menschen zusammenleben wollen, können zwei nebeneinanderliegende Zimmer zusammengeschlossen und gemeinsam genutzt werden, indem zum Beispiel zwei Zimmer und ein gemeinsamer Sanitärraum durch einen Vorflur erschlossen oder zwei Zimmer durch einen flexibel gestaltbaren Durchgang miteinander verbunden werden. Mit solchen Raumkonzepten werden die Wahlmöglichkeiten von Heimbewohnerinnen und -bewohnern erheblich ausgeweitet und die Anpassung der räumlichen Umgebung an unterschiedliche und wechselnde Bedürfnisse erheblich verbessert. Doppelzimmer sind hierfür nicht erforderlich“, so die Ministerin.
Abbau von Doppelzimmern führt nicht zu einem Engpass in der Versorgung mit Pflegeheimplätzen
Sie wandte sich auch gegen „durchsichtige Katastrophenszenarien“, wonach die Einzelzimmervorgabe zu einem Engpass bei Pflegeheimplätzen führe. Sie verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass sich die Zahl der Heimplätze in den vergangenen Jahren trotz der schrittweisen Umsetzung des Einzelzimmergebots weiter kontinuierlich gesteigert habe. Zudem seien laut statistischem Landesamt von 2011 bis 2013 rund 200 neue, zusätzliche Pflegeheime entstanden. Nach den weiteren Angaben des statistischen Landesamts wurden im Jahr 2013 insgesamt 90.845 Menschen in stationären Einrichtungen versorgt. Dem stünden 100.243 verfügbare Heimplätze gegenüber.
Altpeter: „Es ist also aktuell ein spürbarer Überhang an Heimplätzen vorhanden.“ Zudem zeigten die statistischen Erhebungen, dass immer mehr pflegebedürftige Menschen ambulant versorgt werden wollen. Im Jahr 2011 wurden noch 32 Prozent in Heimen versorgt, im Jahr 2013 waren es 30 Prozent der Pflegebedürftigen.
Umsetzung der Einzelzimmervorgabe in Ballungszentren
In besonderen Fällen – wie etwa in Ballungszentren – lässt die Landesheimbauverordnung Altpeter zufolge zu, auch Heime mit mehr als 100 Plätzen zu bauen. Zudem werde die Angebotslandschaft für die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen gerade auch in Ballungsräumen immer vielfältiger, zumal es im neuen Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG) des Landes neben der klassischen stationären Einrichtung auch die Möglichkeit gebe, Wohngemeinschaften zu errichten.
„Das macht es gerade auch in Ballungsräumen möglich, in kleineren Wohneinheiten (bis zu 12 Personen) im Quartier auf die Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen zu reagieren“, so die Sozialministerin.
Bauliche Vorgaben für große Heime der Eingliederungshilfe
Altpeter zufolge hat die geplante Dezentralisierung großer Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen auch Auswirkungen auf bauliche Gestaltungsprozesse an den Zentralstandorten. Ziel sei es, für die Menschen mit Behinderungen im Rahmen der Dezentralisierung ein Höchstmaß an gleichberechtigter Teilhabe und Inklusion zu verwirklichen und zugleich an den zentralen Standorten die Vorgaben der Landesheimbauverordnung stufenweise umzusetzen. Mit dem Instrument eines „sukzessiven Anpassungsprozesses“ habe man dafür in den „Ermessenslenkenden Richtlinien“ nun einen geeigneten Weg gefunden.
Altpeter: „Damit können die Planungsschritte der Dezentralisierung und die Umsetzung der Landesheimbauverordnung mit der Einzelzimmervorgabe aufeinander abgestimmt und miteinander in Einklang gebracht werden.“
Ergänzende Hinweise
Die staatliche Heimaufsicht bei den 44 Stadt- und Landkreisen hat zur Aufgabe, ein würdevolles Leben und Wohnen in Heimen zu gewährleisten. Sie überprüft und berät Heime für Pflegebedürftige sowie für Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Rechtliche Grundlagen für die Tätigkeit der Heimaufsichtsbehörden sind das Wohn-, Teilhabe-, und Pflegegesetz (WTPG) des Landes, das zum 31. Mai 2014 in Kraft trat. Daneben bestehen Verordnungen zu Personal und Heimmitwirkung sowie die Landesheimbauverordnung mit den „Ermessenslenkenden Richtlinien“.
Die stationären Einrichtungen haben eine 10-jährige Übergangsfrist zur Erfüllung der Einzelzimmervorgabe und der anderen Vorschriften der Landesheimbauverordnung bis zum 31.08.2019. In besonderen Fällen kann diese Frist sogar auf bis zu 25 Jahre ab Betriebsbeginn verlängert werden.
Eine Verlängerung ist insbesondere dann möglich, wenn dies für die Refinanzierung betriebsnotwendiger Investitionen notwendig ist.