Von der „Württembergischen Staatsirrenanstalt“ zum den Menschen zugewandten Zentrum für Psychiatrie: Bei einem Festakt anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Klinik des ZfP Südwürttemberg in Ravensburg-Weißenau hat Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha auf den Paradigmenwechsel in der Psychiatrie hingewiesen: „Heute ist es unser oberstes Gebot, den psychisch kranken und behinderten Menschen Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen und sie nicht auf ihre Erkrankung zu reduzieren. Nicht Abschottung, sondern Öffnung nach außen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist notwendiger Bestandteil von Genesung.“
„Am 1. Oktober 1984 trat ich unter den fürsorglich-gestrengen Augen von Oberpfleger Hans Stetter ein Vorpraktikum für meine Krankenpflegeausbildung auf der Station 17 (Männer, geschlossen) des damaligen Psychiatrischen Landeskrankenhaus Weißenau an. Der Mief der alten Anstaltspsychiatrie war damals auch hier noch lange nicht komplett abgezogen – in den Räumlichkeiten der ehemaligen „Württembergischen Staatsirrenanstalt“, die König Wilhelm II. 1892 in einem ehemaligen Prämonstratenser-Kloster hatte eröffnen lassen. Allerdings: Kein praktisches soziales Feld war Mitte der 80er Jahre in der Bundesrepublik derart politisiert wie die Psychiatrie und die Behindertenhilfe“, sagte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha in seinem Vortrag.
Lucha: „Und es war der wunderbare, kluge und mutige damalige Ärztliche Direktor Professor Günter Hole, der die unhaltbaren Zustände in Weißenau und anderswo öffentlich an den Pranger stellte – die personelle Unterbesetzung ebenso wie mangelnde Hygieneverhältnisse, eklatante bauliche Mängel und die kaum vorhandenen ambulanten Nachsorgestrukturen. Professor Hole war es auch, der zu dieser Zeit den in Fachkreisen bereits mit einem sozialpsychiatrischen Ruf wie Donnerhall ausgestatteten jungen Arzt Paul-Otto Schmidt-Michel mit der klar definierten Herkulesaufgabe nach Weißenau holte, die Langzeit-Psychiatrie zu atomisieren, zu reformieren und sie gemeindepsychiatrisch umzukrempeln. Vor zwei Jahren nun ist Professor Schmidt-Michel als Ärztlicher Direktor des Zentrums für Psychiatrie Südwürttemberg in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet worden. Die tiefen, wegweisenden Spuren, die er im Land hinterlassen hat, zeichnen heute sowohl die Versorgungslandschaft im Ganzen, aber auch die Qualität und das Selbstverständnis der Zentren für Psychiatrie aus.“
Nicht Abschottung, sondern Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
Lucha wies auf den Paradigmenwechsel in der Psychiatrie hin, für den Reformer wie Hole und Schmidt-Michel gegen massive Widerstände erfolgreich gekämpft hätten: „Heute ist es unser oberstes Gebot, den psychisch kranken und behinderten Menschen Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen und sie nicht auf ihre Erkrankung zu reduzieren. Nicht Abschottung, sondern Öffnung nach außen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist notwendiger Bestandteil von Genesung. Versorgung wird dort geleistet, wo sie notwendig und hilfreich ist. Dort, wo die Menschen leben – und nicht hinter verschlossenen hohen Mauern.“ Das Resultat könne sich wirklich sehen lassen, so der Minister weiter: „Wir sind in Baden-Württemberg stolz auf unsere den Menschen zugewandten Zentren für Psychiatrie, funktionierende gemeindepsychiatrische Verbünde und ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, das in Deutschland Maßstäbe gesetzt hat.“
Weiterentwicklung des Landespsychiatrieplans, unter anderem Ausbau von ambulanter Versorgung
Gerade weil die psychischen Erkrankungen immer mehr zunähmen und die Menschen länger damit lebten, dürfe die Politik auf diesem Weg jetzt nicht stehenbleiben, sondern müsse den Landespsychiatrieplan konsequent weiterentwickeln, mahnte Minister Lucha: „Deshalb hat sich die Landesregierung für die laufende Legislaturperiode vorgenommen, ambulante Versorgungsangebote auf den steigenden Bedarf anzupassen und auszubauen.“
Gerade auch im ländlichen Raum müssten genügend niedrigschwellige Beratungsangebote für ältere und junge Menschen vorhanden sein. „Hierbei ist uns ein Ausbau von Krisen- und Notfalldiensten sowie von Home-Treatment-Angeboten besonders wichtig. Die Zentren für Psychiatrie sind hierfür von zentraler Bedeutung“, sagte Lucha abschließend.
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