Besuch

Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen besucht die LebensWerkstatt in Bad Friedrichshall

Landes-Behindertenbeauftragte Simone Fischer mit Friedemann Manz, Geschäftsführender Vorstand der LebensWerkstatt; Alois Fleck, Michael Storch und Martina Roßbach (Bewohnerbeiräte) und Hausleiter Ronny Linde vor dem Wohnhaus der LebensWerkstatt in Bad Friedrichshall.
Simone Fischer, Beauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg für die Belange von Menschen mit Behinderungen (rechts); Friedemann Manz, Geschäftsführender Vorstand der LebensWerkstatt (dritter von rechts); Alois Fleck, Michael Storch und Martina Roßbach (Bewohnerbeiräte) und Hausleiter Ronny Linde (v. r. n. l.) vor dem Wohnhaus der LebensWerkstatt in Bad Friedrichshall.

Simone Fischer: „Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen wird durch die Folgen der Corona-Krise viel zugemutet / Alle müssen sich darauf verlassen können, dass sie im Notfall gut versorgt werden / Müssen aus den Folgen der Pandemie lernen und für Inklusion bessere Voraussetzungen schaffen.“

Simone Fischer hat am Mittwoch, 22. Dezember, die LebensWerkstatt in Bad Friedrichshall besucht, um mit Menschen mit Behinderungen und Mitarbeitenden ins Gespräch zu kommen und sich ein Bild von der aktuellen Situation zu machen.

Die Landes-Behindertenbeauftragte Simone Fischer sagte: „Die Folgen der Corona-Pandemie verlangt Menschen mit Behinderungen zu viel ab. Wenn sie in Wohngemeinschaften oder Pflegeheimen leben, sind sie in einem Ausmaß mit den Folgen konfrontiert, die der Durchschnittsbürger meist nicht mitbekommt. Sie erleben Benachteiligung und Isolation noch stärker als vor der Pandemie. Wir dürfen bei der Inklusion nicht noch mehr Rückschritte machen.“

Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus stellen Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen seit nunmehr fast zwei Jahren vor gewaltige Herausforderungen. Sie erleben tiefere Einschnitte in ihrem sozialen Umfeld, in ihrem Alltag und bei der Arbeit, als der Bevölkerungsdurchschnitt. Menschen, die in gesonderten Lebensformen wohnen und arbeiten, beispielsweise in einer Wohngemeinschaft oder einer Werkstätte für Menschen mit Behinderungen, müssen weiterhin strengere Regeln in Kauf nehmen.

Die Welt der Bewohner konzentriert sich seither fast ausschließlich auf das unmittelbare, exklusive Lebensumfeld. Aktivitäten und Begegnungen außerhalb der Einrichtungen sind begrenzt. Seit Beginn der Corona-Maßnahmen finden weniger Besuche von oder bei Angehörigen statt. Sie sind mit viel Aufwand verbunden, was die Attraktivität einschränkt. Auch innerhalb der Wohngruppen mussten Begegnungen und Gemeinschaft reduziert werden. Viele kämpfen mit Erkrankungen, mussten mehrfach Zeit in Quarantäne verbringen, an vielen Orten verstarben Mitbewohner an Covid-19. Menschen ziehen sich zurück, viele trauern und leiden langfristig unter Depressionen, Desorientierung oder Demenz.

Simone Fischer: „Die Situation der ausgelasteten Krankenhäuser beängstigt Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung und ihre Angehörigen. Was mit ihnen passiert, wenn nicht mehr ausreichend Intensivplätze zur Verfügung stehen, bereitet ihnen seit Beginn der Pandemie große Sorge.“ Sie beobachte die Entwicklungen um die Fragen der Triage sehr aufmerksam. Vor allem müsse alles getan werden, damit das Gesundheitssystem alle Menschen versorgen kann. „Jeder Mensch muss sich darauf verlassen können, dass er in Notsituationen eine gleichberechtigte, gerechte und menschliche Versorgung bekommt. Dies darf keine Frage von Behinderung oder Alter sein.“, so Simone Fischer. Es könne beispielsweise nicht sein, dass Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Pflege Vorauswahl darüber treffen müssten, wer ihrer Bewohner im Notfall eine Krankenhausbehandlung erhalte. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen. Kurzfristig sei jetzt aber jeder einzelne aufgerufen, alles dafür zu tun, damit dies in unserem Land gewährleistet ist, an den Corona-Regeln und wissenschaftlichen Empfehlungen orientiert und von seinem Impfrecht Gebrauch macht. Kontakte reduzieren, Maske tragen, Hände waschen und Impfen sind Maßnahmen, um uns selber zu schützen und die Krankenhäuser nicht zu überlasten.

„Ich danke für Ihren Besuch und die Verbundenheit mit denjenigen, die in besonderem Ausmaß von den Folgen der Pandemie betroffen sind.“, sagte Friedemann Manz, Geschäftsführender Vorstand der LebensWerkstatt. „In den vergangenen Monaten tragen auch die Mitarbeitenden eine hohe Anstrengung. Sie begleiten Menschen mit Behinderungen kompetent und engagiert, stellen die Grundversorgung sicher und unterstützen im Alltag nach dem Grundsatz ‚So viel Infektionsschutz wie nötig und so viel Selbstbestimmung wie möglich‘. Die Mitarbeitenden begleiten und assistieren Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen in beachtlicher Weise.“ Allerdings sei das Personal zunehmend erschöpft. Der Fachkräftemangel zeige sich auch im Bereich der Eingliederungshilfe. „Es braucht bessere Arbeitsbedingungen, damit Menschen ihre Arbeit gut machen können.“ Auf Seiten der Mitarbeitenden in den Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe bestünden schon seit Monaten massive Belastungen aufgrund der quarantänebedingten Personalausfälle, der hohen Hygienestandards und Testvorgaben.

Simone Fischer dankte all jenen, die in der Pandemie verantwortungsbewusst ihren Dienst am Nächsten tun: „Menschen mit Behinderungen sind darauf angewiesen, dass sie auf Personal treffen, das aufrichtig und zugewandt ihre Assistenz übernimmt. In der aktuellen Zeit ist Ihre Arbeit und Verantwortung wichtiger denn je. Persönliche Assistenz und Pflege sind eine Frage von Vertrauen. Immer noch können nicht alle Menschen selbstverständlich aussuchen, wie und wo sie leben wollen.“

Hintergrund

Die Corona-Pandemie zeigt: Deutschland ist auch zwölf Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) noch weit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt. Um einen gleichberechtigten Schutz ihrer Gesundheit und Selbstbestimmungsrechte sicherzustellen, bedarf es der Monitoring-Stelle UN-BRK beim Deutschen Institut für Menschenrechte eines konsequenten Disability Mainstreaming. Um den Herausforderungen zu begegnen, mit denen Menschen mit Behinderungen sich während der aktuellen Pandemie und in ähnlichen Notsituationen konfrontiert sehen, empfiehlt die Monitoring-Stelle:

  1. Die unterschiedlichen Lebenskontexte von Menschen mit Behinderungen und ihre Bedarfe müssen im Sinne eines Disability Mainstreaming konsequent berücksichtigt werden.
  2. Die Partizipation von Menschen mit Behinderungen und ihren Selbstvertretungsorganisationen muss auch in politischen Entscheidungsprozessen zur Corona-Pandemie sichergestellt werden – durch aktive Konsultation und die Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen (Informationen in barrierefreien Formaten etc.).
  3. Die pandemiebedingten Herausforderungen und Menschenrechtsverletzungen sollten systematisch aufgearbeitet werden, um in zukünftigen Krisen besser gewappnet zu sein. Auch hierbei sind Menschen mit Behinderungen und ihre Selbstvertretungen aktiv einzubeziehen, beispielsweise im Rahmen einer inklusiv besetzten Kommission.
  4. Nötig ist der umfassende Auf- und Ausbau eines inklusiven Gesundheitssystems, zu dem Menschen mit Behinderungen, unabhängig von ihren Beeinträchtigungen oder ihrem Lebensort, diskriminierungsfrei Zugang haben.

Quelle: Covid-19: Auswirkungen auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen | Deutsches Institut für Menschenrechte (institut-fuer-menschenrechte.de)

Dem Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg wurden seit Beginn der Pandemie insgesamt 1.277 Ausbrüche in Alten-/ Pflegeheimen mit 26.380 SARS-CoV-2 Fällen und 3.786 Todesfällen übermittelt. Zudem liegen dem Landesgesundheitsamt Informationen zu 80 Ausbrüchen in Tagesstätten mit 1.325 SARS-CoV-2 Fällen und 155 Todesfällen vor.

Angaben zu Ausbrüchen nach Infektionsumfeld, Anzahl der Ausbrüche, Anzahl der Fälle und Todesfälle in den Ausbrüchen seit Beginn der Pandemie, Baden-Württemberg, Stand 22.12.21, 12 Uhr:

Infektionsumfeld Anzahl der Ausbrüche Fälle in Ausbrüchen Todesfälle in Ausbrüche
Alten-/ Pflegeheim 1.277 26.380 3.786
Seniorentagesstätte 80 1.325 155
Wohnstätte 351 2.575 97
Betreuungseinrichtung 265 3.174 221
Gesamt 1.973 33.454 4.259

 

Quelle:

Beauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg für die Belange von Menschen mit Behinderungen
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