Eine intensive Bürgerbeteiligung trägt zur erfolgreichen Integration bei. Das zeigt eine Untersuchung der kommunalen Flüchtlingsdialoge durch die Uni Hohenheim. Ministerpräsident Winfried Kretschmann: „Kommunale Flüchtlingsdialoge sind Vorbild für weitere Formate der Bürgerbeteiligung.“ Für Gisela Erler, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, ist Partizipation ein guter Weg, um komplexen Aufgaben in unserer Gesellschaft zu begegnen. „Die Flüchtlingsdialoge sind getragen von der starken Beteiligung Ehrenamtlicher“, freut sich Integrationsminister Manne Lucha.
„Die Kommunalen Flüchtlingsdialoge der Landesregierung haben sich zu einem Erfolgsmodell entwickelt, das als Vorbild für weitere Verfahren und Formate der Bürgerbeteiligung dienen kann“, sagte Ministerpräsident Kretschmann im Anschluss an die heutige Sitzung des Ministerrats. Anlass zu dieser Beurteilung war der Evaluationsbericht der Universität Hohenheim, die unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Brettschneider vom Institut für Kommunikationswissenschaften die Kommunalen Flüchtlingsdialoge der Landesregierung zusammen mit der Bertelsmann Stiftung wissenschaftlich begleitet und ausgewertet hat. Das Ergebnis dieser Evaluation wurde im Ministerrat vorgestellt.
„Dieses erfreuliche Ergebnis bestätigt unsere Ausgangshypothese, dass Beteiligung immer ein guter Weg ist, um gesellschaftlich komplexe Aufgaben anzugehen. Darüber hinaus bringt jede Form der Beteiligung motivierende Wertschätzung für Menschen mit sich, die sich ehrenamtlich engagieren. Immerhin hat sich die Flüchtlingshilfe zu einer der größten Bürgerbewegungen in unserem Land entwickelt“, betonte Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung.
Besonders ehrenamtlich Engagierte beteiligten sich an den Dialogen
„Wer sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, hilft nicht nur den Geflüchteten, sich bei uns zurechtzufinden, er engagiert sich zugleich auch für das friedliche Zusammenleben aller, für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, für Toleranz und Mitmenschlichkeit. Ein solches Engagement verdient unsere volle Unterstützung“, sagte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha. „Die Evaluation hat ergeben, dass sich insbesondere die ehrenamtlich Engagierten intensiv an den Kommunalen Flüchtlingsdialogen beteiligt haben. Darüber freue ich mich ganz besonders, und das beweist eindrucksvoll die Stärke Baden-Württembergs als Land des Ehrenamts. Die Kommunalen Flüchtlingsdialoge haben vor Ort dazu beigetragen, dass die Engagierten mit ihren Ideen, mit ihren Erfahrungen, aber auch mit ihren Problemen wahrgenommen wurden. Auch die Kommunikation der ehrenamtlich Engagierten mit den Hauptamtlichen in der Flüchtlingshilfe konnte intensiviert und verbessert werden.“
Flüchtlingsdialoge helfen Fragen der Integration in den Kommunen zu klären
In den vergangenen Jahren hatte das Land insbesondere bei Infrastrukturprojekten bereits vielfältige Erfahrungen mit seiner Politik des Gehörtwerdens und der systematischen Bürgerbeteiligung gemacht. Darauf aufbauend fiel im Oktober 2015 die Entscheidung, auch das Thema Integration partizipativ anzugehen. Aus diesem Ansatz heraus hat die Landesregierung im Rahmen des Landesprogramms „Flüchtlingshilfe durch Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft“ die Kommunalen Flüchtlingsdialoge entwickelt, um Bürgerbeteiligung zu Fragen der Integration auf kommunaler Ebene zu unterstützen.
Inhaltlich wurde bei den Dialogen eine breite Palette an Themen abgedeckt, insbesondere aus den Bereichen Wohnen, Arbeit, Sprache, Gemeinschaft und ehrenamtliches Engagement. Gleichzeitig waren verschiedene Formate zum Einsatz gekommen, vom World-Café, in welchem Kleingruppenarbeit stattfand, über das Bürgerforum bis zum Frühstücksbus Friedrichshafen, mithilfe dessen gezielt in Stadtteilen mit vermuteter flüchtlingskritischer Bevölkerung das Gespräch mit den Menschen gesucht wurde. Interessierte Kommunen konnten Fördermittel für individuelle Beratung und Moderation ihres Flüchtlingsdialogs abrufen und selbst entscheiden, welche Formate sie für vielversprechend hielten.
Erster Flüchtlingsdialog in Ostfildern
Die Stadt Ostfildern hat sich als erste Kommune im Land bei den Kommunalen Flüchtlingsdialogen beteiligt und inzwischen bereits zwei Dialogprozesse durchgeführt. Oberbürgermeister Christof Bolay: „2016 waren die kommunalen Strukturen mit der hohen Zahl der Geflüchteten belastet. Der kommunale Flüchtlingsdialog hat dann sehr dazu beigetragen, die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Kräfte zu bündeln und zu stärken. Die Gespräche und Ideen, die bei der Veranstaltung entstanden sind, sind heute noch aktuell und weiterhin Grundlage für Projekte und Maßnahmen. Ein Beispiel ist das Café Syria: geflüchtete Familien kochen und laden die örtliche Bevölkerung alle zwei bis drei Monate in Kooperation mit dem sehr aktiven Freundeskreis Asyl in Ostfildern zum Essen ein.“ Beim zweiten Dialog, den Ostfilderner Gesprächen, waren per Zufallsgenerator ausgewählte Menschen aus der Bürgerschaft dabei. Die Rücklaufquote auf die Einladung war mit elf Prozent enorm hoch. „Dies markierte den Start der Bürgerbeteiligung zur Erarbeitung des Integrationsplans in der Stadt“, so Bolay.
„Sowohl die Städte, Gemeinden und Landkreise als Organisatoren als auch die Teilnehmenden selbst haben die Dialoge sehr positiv bewertet, im Schnitt mit der Note 1,9“, erläuterte Staatsrätin Erler. An greifbaren Ergebnissen sei zudem eine Fülle an Veranstaltungen und Maßnahmen für ein gutes Zusammenleben und die Integration von Geflüchteten geblieben – von der Kontaktbörse für Vereine und Flüchtlinge über den Einsatz von Job-Mentoren bis zu einem internationalen Kinderfest. „Die Kommunalen Flüchtlingsdialoge waren in vielerlei Hinsicht eine wertvolle Erfahrung: In den Kommunen ist etwas Dauerhaftes geblieben. Gleichzeitig haben uns die Erkenntnisse geholfen, das Format auf Basis des Erprobten und Bewährten weiterzuentwickeln“, so die Staatsrätin.
Auf Flüchtlingsdialoge folgen Nachbarschaftsgespräche
Ein Ergebnis dieses Prozesses sind die sogenannten „Nachbarschaftsgespräche“, die im vergangenen Jahr beispielhaft in den Städten Freiburg, Mannheim und Pforzheim unter anderem mit zufällig ausgewählten Bürgern durchgeführt wurden und nun als fester Bestandteil des Pakts für Integration flächendeckend im Land umgesetzt werden. Daran teilgenommen hat auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Hier wird das Format der Flüchtlingsdialoge weiterentwickelt fortgeführt und alle Fragestellungen des Zusammenlebens einbezogen, die den Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt auf der Seele brennen können – inklusive Integration“, erklärte Kretschmann. „Wir haben dafür bewusst Stadtteile mit hohem Integrationsdruck ausgesucht“, sagte Staatsrätin Gisela Erler: „Auch in diesem Fall hat sich gezeigt, dass Bürgerbeteiligung einen guten Beitrag zu einer erfolgreichen Integration leisten kann.“
„Es freut mich, dass das Land im Rahmen des 2017 geschlossenen Pakts für Integration mit den Kommunen auch 5,4 Millionen Euro zur weiteren Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements im Bereich Integration zur Verfügung stellen konnte. Damit haben wir das Landesprogramm ,Integration durch Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft‘ aufgelegt, in das die Erfahrungen aus den Programmen der Jahre 2015 bis 2017 eingeflossen sind“, erklärte Minister Lucha. Mit den 600.000 Euro, die alleine für die Nachbarschaftsgespräche zur Verfügung stünden, könnten gut 30 Dialoge mit jeweils bis zu 15.000 Euro gefördert und begleitet werden. „Die landweite Nachfrage ist groß, so dass wir ins Auge fassen, das Programm im Lauf des Sommers noch um etwa zehn weitere Dialoge aufzustocken“, so Lucha.
Insgesamt 54 Dialoge
In den Jahren 2016 und 2017 sind in Baden-Württemberg insgesamt 54 Kommunale Flüchtlingsdialoge durchgeführt worden. Daran teilgenommen haben rund 3.400 Menschen. Neben ehrenamtlich engagierten Menschen und Flüchtlingen waren auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zahlreicher Organisationen vertreten: Darunter beispielsweise Flüchtlingsbeauftragte der Kommunen, Behörden, Gemeinderäte, IHK, Gewerbevereine, Feuerwehr, Vereine und Gewerkschaften, BUND, Jobcenter, Agentur für Arbeit, VHS, Wohlfahrtsverbände, Schulen und Jugendgemeinderäte. Jede Kommune hat als Veranstalter einen Zuschuss von rund 4.000 Euro erhalten. Insgesamt hatte das Programm ein Volumen von 160.000 Euro. Der Städtetag Baden-Württemberg und die Führungsakademie Baden-Württemberg waren beratend und begleitend an den Kommunalen Flüchtlingsdialogen beteiligt.
Bericht: „Kommunale Flüchtlingsdialoge in Baden-Württemberg – Evaluation der Beteiligungsverfahren“
Quelle:
Staatsministerium Baden-Württemberg