Beim sogenannten Elternkonsens steht das Kindeswohl im Sorge- und Umgangsstreit an erster Stelle. Auf Einladung von Justiz- und Sozialministerium haben sich in Stuttgart über 200 Fachleute zu dem Schlichtungsverfahren ausgetauscht.
Auf Einladung von Justizministerium und Sozialministerium Baden-Württemberg hat am Donnerstag (13. Oktober 2022) der Bundeskongress „Elternkonsens“ in Stuttgart zum Thema „Hochstreitige Eltern am Familiengericht“ stattgefunden. Über 200 Richterinnen und Richter, Fachkräfte der Jugendämter, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Sachverständige, Mitarbeitende von Beratungsstellen und interessierte Personen aus Wissenschaft und Verwaltung aus ganz Deutschland nahmen an dem interdisziplinären Austausch teil.
In ihrer Eröffnungsrede begrüßte Justizministerin Marion Gentges die große Zahl an Fachleuten und sagte: „Wenn Eltern sich trennen, sind die gemeinsamen Kinder die Leidtragenden. Mit der Verfahrenspraxis „Elternkonsens“ setzen wir alles daran, dass die Beteiligten vor Gericht zum Wohl des Kindes an einem Strang ziehen. Die Trennung der Eltern ist für die Kinder schon schwer genug. Im Sorge- und Umgangsstreit steht deshalb das Kindeswohl an erster Stelle, nicht die Interessen der Eltern.“
Verfahrenspraxis „Elternkonsens“
Der sogenannte „Elternkonsens“ ist eine von Baden-Württemberg geförderte Verfahrenspraxis, die bei Trennung oder Scheidung der Eltern darauf zielt, im Interesse des Kindes zügig einvernehmliche Lösungen für Umgang und Sorge für die gemeinsamen Kinder herbeizuführen. Zu diesem Zweck sind in der Praxis Familienrichterinnen und -richter, die Anwaltschaft, Jugendämter, Beratungsstellen, Verfahrensbeistände und Sachverständige eingebunden und unterstützen die Eltern in dem Bemühen um eine schnelle und nachhaltige Konfliktlösung. Allein in Baden- Württemberg sind jährlich rund 15.000 Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Hinzu kommen die Kinder, deren unverheiratete Eltern sich trennen. Zuletzt wurden jährlich rund 18.000 familiengerichtliche Verfahren um Sorgerecht und Umgang in Baden- Württemberg erledigt.
Sozialminister Manne Lucha sagte: „Bei etwa zehn Prozent der Scheidungsverfahren streiten sich die Eltern unversöhnlich und nehmen wenig oder keine Rücksicht auf ihre Kinder. Diese zehn Prozent der Eltern beschäftigen 90 Prozent der Personen, die an einem Familienrechtsstreit beteiligt sind. Hier setzen wir an, um insbesondere die Kinder zu schützen.“
Bereits seit über einem Jahrzehnt setzen sich das Justizministerium sowie das Sozialministerium in gemeinsamer Kooperation für die Förderung des Projektes „Elternkonsens“ ein, veranstalten regelmäßig Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen und unterstützen lokale Arbeitskreise, die Fortbildungsveranstaltungen für Fachpublikum wie auch für Eltern veranstalten.
Kernpunkte zum Elternkonsens
Die Verfahrenspraxis „Elternkonsens“ umfasst bestimmte Grundsätze und Verfahrensweisen in familiengerichtlichen Verfahren, die im Detail vor Ort angepasst werden. Viele Arbeitskreise im Land haben sich auf folgende Kernpunkte einer einheitlichen Verfahrenspraxis zum „Elternkonsens“ geeinigt:
- Die Antragsschrift an das Gericht wird auf das Notwendigste beschränkt. Hierzu gehören eine kurze, konzentrierte Sachverhaltsdarstellung ohne persönliche Vorwürfe. Eine Erwiderung des Antragsgegners ist vor dem Termin entbehrlich. Grundsätzlich beschränken sich die Anwältinnen und Anwälte auf eine knappe Darstellung der Tatsachen. So soll vermieden werden, dass der Streit eskaliert und in den Schriftsätzen „schmutzige Wäsche gewaschen wird“.
- Das Gericht terminiert kurzfristig – idealerweise binnen eines Monats – nach Eingang des Antrags. In dem Gerichtstermin erhalten beide Elternteile ausreichend Gelegenheit, alle Punkte vorzubringen, die sie für wesentlich erachten.
- Das Jugendamt wird sofort in das Verfahren eingebunden und nimmt an dem ersten Gerichtstermin teil. Zuvor führt der zuständige Mitarbeiter Gespräche mit beiden Elternteilen und den Kindern.
- Alle am Verfahren beteiligten Berufsgruppen wirken während des gesamten Verfahrens auf ein Einvernehmen der Eltern hin.
- Kommt eine Einigung im ersten Gerichtstermin nicht zustande, wird den Eltern kurzfristig eine Beratungsmöglichkeit angeboten.
- Viele Gerichte setzen sogleich einen Folgetermin fest, um das Verfahren zügig weiterbetreiben zu können, wenn die Eltern auch in der Beratung keine Einigung finden.
In der großen Mehrzahl der Fälle gelingt es auf diese Weise, entweder bereits im ersten Termin oder während der Beratung eine von den Beteiligten auch innerlich akzeptierte, einvernehmliche Lösung zu finden. Die besondere Verfahrensweise Elternkonsens wird im Land nicht schematisch auf alle Fälle angewandt. In besonderen Situationen kann sie nicht angezeigt sein, zum Beispiel bei drohender Kindeswohlgefährdung im Zusammenhang mit Gewalt in der Familie oder bei sexuellem Missbrauch.
Quelle:
Ministerium der Justiz und für Migration, Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration