Menschen mit Behinderungen

Land setzt Bundesteilhabegesetz in Baden-Württemberg konsequent um

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Eine Rollstuhlfahrerin fährt in einer Wohnanlage zu ihrer Wohnung.

Die Landesregierung verbessert mit der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes die Situation für über 80.000 Menschen mit Behinderungen in Baden-Württemberg. Das Gesetz soll Menschen mit Behinderung gleichwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.

„Mehr Selbstbestimmung, mehr Teilhabe, mehr Mitsprache – mit der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Baden-Württemberg verbessern wir die Situation für über 80.000 Menschen mit Behinderungen im Südwesten“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an die Sitzung des Ministerrats in Stuttgart. Das BTHG greife zentrale Aspekte der UN-Behindertenrechtskonvention auf, die auf Landesebene konsequent umgesetzt würden. „Diese Verbesserungen hat Baden-Württemberg – gemeinsam mit anderen Bundesländern – in harten Verhandlungen mit dem Bund erreicht“, unterstrich er. Unter anderem sei auch eine umfassende Evaluierung der finanziellen Auswirkungen der Neuregelungen in den Jahren 2017 bis 2021 vereinbart worden.

Individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf festlegen – Mitsprache gewährleisten

„Kernstück des Gesetzes ist ein ganz elementarer Systemwechsel: weg vom Fürsorgeprinzip, hin zum Menschen, der mit seinen individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen im Mittelpunkt steht. Damit entwickeln wir das deutsche Recht in Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention weiter“, betonte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha. „Künftig werden die Bedarfe, Fähigkeiten und Einschränkungen jedes und jeder Einzelnen genau angeschaut – daraus ergibt sich dann der jeweilige Hilfe- und Unterstützungsbedarf. Für die Betroffenen bringt das Gesetz eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensumstände“, betonte Lucha. Das Gesetz stärke unter anderem das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen, die künftig selbst entscheiden können, wie und wo sie leben wollen. Die Betroffenen erhalten außerdem bessere Teilhabechancen am Arbeitsmarkt. „Dies geschieht durch die sinnvolle Ergänzung um weitere Leistungsanbieter neben anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen sowie die Einführung des ,Budgets für Arbeit‘“, erklärte der Minister.

Bei der Ausführung des Gesetzes im Land werde zudem eine umfangreiche Mitsprache der Betroffenen gewährleistet. „Leistungserbringer, Träger und Behindertenverbände beraten gemeinsam, wie das Gesetz konkret ausgestaltet werden soll. Auch bei der Bedarfsermittlung werden Menschen mit Behinderungen viel größeren Einfluss haben“, so Lucha. Mit dem Instrument der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF – International Classification of Functioning, Disability and Health) wird der Bedarf in der Eingliederungshilfe ermittelt. Leistungsträger, Leistungserbringer und Vertretungen von Menschen mit Behinderungen im Südwesten werden das Instrument auf baden-württembergische Bedürfnisse anpassen, um gleiche Lebensverhältnisse innerhalb des Landes zu gewährleisten. Ab Frühjahr 2018 wird es getestet, später weiterentwickelt und optimiert. „Ziel ist es, ein zukunftsorientiertes, einheitliches Bedarfsermittlungsinstrument auf ICF-Basis zu etablieren, in dessen Zentrum die betroffenen Menschen stehen“, sagte der Sozial- und Integrationsminister.

Mit der Einführung der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ soll außerdem die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen durch eine von Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängige Beratung gestärkt werden. Unter anderem können Betroffene dabei so weit als möglich selbst als Berater tätig werden.

Langjährige Erfahrung der Stadt- und Landkreise nutzen

Zuständig für die Bedarfsermittlung werden zukünftig – wie bereits in der Vergangenheit – die Stadt- und Landkreise als Träger der Eingliederungshilfe sein. Damit baut das Land auf die langjährige Erfahrung der Stadt- und Landkreise bei der Leistungserbringung an Menschen mit Behinderungen. „Ich bin davon überzeugt, dass die Kommunen am besten wissen, was die Bedarfe ihrer Bürgerinnen und Bürger vor Ort sind“, so Lucha.

Anstehende Umsetzungsschritte

Anfang des Jahres 2017 ist bereits die erste Stufe des Bundesteilhabegesetzes in Kraft getreten – mit ersten Verbesserungen bei der Einkommens- und Vermögensberücksichtigung sowie Änderungen im Schwerbehindertenrecht. Zu Beginn des Jahres 2018 sieht das Bundesteilhabegesetz nun zwei weitere wichtige Umsetzungsschritte vor: die Einführung einer neuen Bedarfsermittlung und der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung, deren Umsetzung heute auf den Weg gebracht wurden. Die nächsten Umsetzungsschritte aus dem Bundesteilhabegesetz sind für die Jahre 2020 und 2023 vorgesehen.

Von dem Gesetz profitieren über 80.000 Menschen mit Behinderungen in Baden-Württemberg. Laut Statistischem Landesamt bezogen im Jahr 2016 81.166 Personen die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach Kapitel 6 SGB XII – die Form der Sozialhilfe mit den meisten Empfängerinnen und Empfängern. Darunter waren fast 60 Prozent Männer mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren. Die betroffenen Frauen waren im Durchschnitt mit rund 35,5 Jahren etwas älter. 70,6 Prozent der behinderten Menschen (57.316) erhielten Leistungen in Einrichtungen. Bei den Hilfeleistungen für diese Personen handelte es sich in der Hauptsache um Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (30.975 Fälle) sowie um Hilfen zum selbstbestimmten Leben in einer Wohneinrichtung (25.118 Fälle). 10.074 behinderte junge Menschen in Einrichtungen bekamen im Laufe des Jahres Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Bei den Hilfeleistungen für behinderte Menschen außerhalb von Einrichtungen stand das selbstbestimmte Leben im Vordergrund. 14.965 Menschen erhielten Hilfen in (ambulant) betreuten Wohnmöglichkeiten. 7.489 behinderte Kinder außerhalb von Einrichtungen erhielten Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung.

Statistisches Landesamt: Über 134 000 Personen mit besonderen Sozialhilfeleistungen