Das Land startet im Bundesrat eine Initiative für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, der nicht unter 8,50 Euro liegt. Die im baden-württembergischen Sozialministerium ausgearbeitete Entschließung soll gemeinsam mit der rot-grünen Landesregierung von Rheinland-Pfalz bereits am 16. Dezember im Bundesrat eingebracht werden. „Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen von ihrer Arbeit menschenwürdig leben können“, erklärten Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Arbeitsministerin Katrin Altpeter.
Schutzwall gegen Lohndumping
Mit einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn werde ein „Schutzwall gegen Dumpinglöhne und Lohndrückerei“ errichtet und zugleich würden seriöse Unternehmen vor „ruinöser Schmutzkonkurrenz von Billiganbietern“ geschützt, erläuterten der Ministerpräsident und die Sozialministerin den Kabinettsbeschluss. Die Initiative für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro sei ein weiterer Baustein im Rahmen der Politik der Landesregierung für „Gute und sichere Arbeit“. Der Mindestlohn ermögliche den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Vom gesetzlichen Mindestlohn profitierten zudem der Fiskus und die Sozialkassen, weil zu den Löhnen in der Regel keine ergänzenden Sozialleistungen mehr bezahlt werden müssten und auch die Beitragsbasis der Sozialversicherungen gestärkt werde, so Ministerpräsident Kretschmann und Sozialministerin Altpeter.
Ministerin Altpeter wies darauf hin, dass seit Jahren immer mehr Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen (befristete und geringfügige Beschäftigung, Teilzeit bis zu 20 Wochenstunden, Leiharbeit) bei zumeist geringer Bezahlung arbeiten. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes war im Jahr 2010 bereits jeder vierte Arbeitnehmer (7,84 Millionen Arbeitnehmer oder 25,4 Prozent) in atypischen Arbeitsverhältnissen beschäftigt.
Nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit verdienten im vergangenen Jahr 4,6 Millionen der rund 21 Millionen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten (22 Prozent) monatlich weniger als 1800 Euro brutto und gelten damit nach den Kriterien der OECD als Geringverdiener, da sie weniger als zwei Drittel des mittleren Verdienstes aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten verdienen.
Viele Frauen im Niedriglohnsektor
Als „gesellschaftspolitischen Sprengstoff“ bezeichnete Sozialministerin Altpeter den hohen Anteil von Frauen unter den Geringverdienern. Inzwischen arbeite mehr als jede dritte Frau im Niedriglohnsektor. „Diesen Marsch in die Niedriglohngesellschaft müssen wir stoppen, wenn wir etwas gegen die Altersarmut insbesondere von Frauen tun wollen.“ Der Mindestlohn sei deshalb auch ein wichtiger Baustein für eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt, für „Gute und sichere Arbeit“, die Armutslöhne bekämpft, betonte Altpeter.
In der Bundesratsentschließung zum flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn heißt es denn auch: „Es ist an der Zeit, dass allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Chance auf existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse gegeben wird.“
Ministerpräsident Kretschmann und Sozialministerin Altpeter forderten die Bundesregierung auf, den Weg für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro freizumachen. Der jüngste Beschluss des CDU-Parteitages reiche dafür jedenfalls nicht aus. Was dort zum Mindestlohn beschlossen worden sei, sei kein „Kurswechsel“, sondern letztlich ein „alter Hut“. Denn für schutzlose Branchen könnten Mindestlöhne schon nach heutiger Rechtslage über das Mindestarbeitsbedingungsgesetz festgelegt werden.
Unabhängige Mindestlohn-Kommission
Die Höhe des Mindestlohns, der 8,50 Euro nicht unterschreiten darf, soll von einer unabhängigen Kommission nach dem Vorbild Großbritanniens (Low Pay Comission) jährlich überprüft und vorgeschlagen werden. Daneben sollen andere arbeitsvertragliche und tarifvertragliche Entgeltvereinbarungen und Entgeltfestsetzungen auf Grund anderer Gesetze nur zulässig sein, wenn sie ein höheres Arbeitsentgelt als den gesetzlichen Mindestlohn vorsehen. Die Einhaltung des Mindestlohns soll auf Seiten des Staates durch die Zollbehörden kontrolliert werden.
In 20 von 27 Ländern der Europäischen Union und auch in den meisten außereuropäischen Industriestaaten (wie z.B. USA, Japan, Kanada, Australien) gehört der gesetzliche Mindestlohn längst zum sozialen Standard.
Die im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales 2010/2011 durchgeführte Evaluation der bestehenden gesetzlichen Mindestlohnregelungen untermauert die Befunde aus anderen Ländern, wonach Mindestlöhne keine negativen Auswirkungen auf die Zahl der Beschäftigten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen haben.
Positive Effekte des Mindestlohns
Das Prognos-Institut veröffentlichte 2011 eine Untersuchung über die fiskalischen Effekte eines Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro:
- Von einem Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro profitieren etwa fünf Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
- Die Erwerbseinkommen der privaten Haushalte steigen voraussichtlich um ca. 14,5 Milliarden Euro
- Zusätzliche Einkommenssteuerzahlungen in Höhe von 2,7 Milliarden Euro können vereinnahmt werden
- Die Sozialkassen nehmen zusätzliche Sozialbeiträge in Höhe von 2,7 Milliarden Euro ein
- Die staatlichen Sozialtransfersysteme werden um 1,7 Milliarden Euro entlastet sein.