Atypische Beschäftigung hat sich auch in Baden-Württemberg mit seinem überdurchschnittlich guten Arbeitsmarkt deutlich ausgebreitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Tübinger Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), die im Auftrag des Sozialministeriums erstellt wurde.
Demnach hat der Anteil aller atypischen Beschäftigungsformen an der Gesamtbeschäftigung in Baden-Württemberg zwischen 2000 und 2012 deutlich zugenommen; bei der Leiharbeit und der freien Mitarbeit hat er sich sogar verdoppelt. Nach den Angaben des Statistischen Landesamtes (Mikrozensus 2012) arbeitet in Baden-Württemberg inzwischen mehr als jeder vierte Beschäftigte (26 Prozent) in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis, das sind rund 1,164 Mio. Menschen. Vor 20 Jahren habe der Anteil noch bei knapp 15 % gelegen, sagte Sozialministerin Katrin Altpeter, die die Studie am Freitag (2. Mai) gemeinsam mit Prof. Bernhard Boockmann vom IAW der Öffentlichkeit vorstellte.
Unter atypischer Beschäftigung versteht man befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, freie Mitarbeit (über Dienst- oder Werkverträge), geringfügige Beschäftigung, aber auch sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit.
Altpeter: „Atypische Beschäftigungsverhältnisse bringen höhere Armutsrisiken mit sich. Sie sind deutlich häufiger als Normalarbeitsverhältnisse mit niedriger Bezahlung, instabilen Beschäftigungsverläufen, Perspektivlosigkeit, schlechten Arbeitsbedingungen und wiederkehrender Arbeitslosigkeit verbunden. Die Lasten und Risiken tragen hier vor allem die Beschäftigten. Diesen Teufelskreis wollen und müssen wir durchbrechen.“
Der Befund der IAW-Studie ist für Ministerin Altpeter ein klares Signal, den eingeschlagenen Weg, Baden-Württemberg zum „Musterland für gute und sichere Arbeit“ umzubauen, konsequent weiterzugehen und atypische Beschäftigung zurückzudrängen.
„Wir orientieren uns am Leitbild einer Arbeit, die gerecht entlohnt wird, nicht krank macht und die Teilhabe an den sozialen Sicherungssystemen gewährleistet. Faire Löhne und Arbeitsbedingungen sind die zentralen Bausteine für unser ‚Musterland für gute Arbeit Baden-Württemberg‘.“
Konsequenzen für die Bundespolitik
Zwar sei nicht jede Form der atypischen Beschäftigung gleichzusetzen mit prekären Arbeitsverhältnissen, so Altpeter. Auch Minijobs und Teilzeitarbeit würden teilweise von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bewusst nachgefragt. „Wir dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, dass vor allem Beschäftigungsverhältnisse am unteren Rand der Lohnverteilung mit hohen Armutsrisiken verbunden sind.“
Deshalb sei es wichtig, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen und dafür zu sorgen, dass eine breitere Tarifbindung ermöglicht wird. Sie begrüße daher die Gesetzesinitiative der Bundesregierung, wenngleich noch weitere Schritte folgen müssten: „Wir müssen auch die Regelungen bei der Leiharbeit und bei Werkverträgen ändern, um Missbrauch vorzubeugen.“ Solche Maßnahmen kämen vielen Betroffenen zugute und entlasteten auch die Sozialkassen und den Fiskus.
Konsequenzen für die Landespolitik
Auf der Landesebene habe man mit dem Landestariftreue- und Mindestlohngesetz bereits ein deutliches Zeichen gegen atypische und prekäre Arbeitsbedingungen gesetzt, sagte die Ministerin. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge müssten sich Unternehmen zur Tariftreue bekennen oder einen Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro bezahlen.
Sie habe als Arbeits- und Sozialministerin das Thema „Gute Arbeit“ von Anfang an ganz weit oben auf ihrer politischen Agenda gehabt, so die Ministerin. Für die Menschen in Baden-Württemberg, die trotz guter Arbeitsmarktzahlen mit Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche zu kämpfen hätten, habe sie bereits zu Beginn der Legislaturperiode das bundesweit beachtete Landesprogramm für ‚Gute und sichere Arbeit‘ aufgelegt.
Altpeter: „Dabei setzen wir auf neue Ideen und innovative, unkonventionelle Konzepte, um z.B. Langzeitarbeitslosen, Alleinerziehenden sowie Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz die Rückkehr bzw. den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zur ermöglichen.“ Auch bei diesem Förderprogramm werde auf die Einhaltung eines Mindestlohnes von 8,50 Euro geachtet. Mit dem Landesprogramm „Gute und sichere Arbeit“ hätten bisher mehr als 9.500 Langzeitarbeitslose, alleinerziehende Mütter und benachteiligte Jugendliche eine neue Perspektive im Arbeitsleben bekommen.
„Diese Landesregierung wird weiterhin aktiv dagegen angehen, dass ein Teil der Erwerbsbevölkerung in Baden-Württemberg nicht oder nur unzureichend am gesellschaftlichen Wohlstand teilhat. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um die zunehmende Spaltung des Arbeitsmarktes in eine Kernbeschäftigung und eine oft prekäre Randbeschäftigung so weit wie möglich zurückzudrängen.“
Studie „Nutzung atypischer Beschäftigungsformen in Baden-Württemberg“
Die Untersuchung des IAW Tübingen (Institut für angewandte Wirtschaftsforschung e.V.) über die „Nutzung atypischer Beschäftigungsformen in Baden-Württemberg“ stützt sich auf die Daten des IAB-Betriebspanels, der größten repräsentativen Arbeitgeberbefragung in Deutschland. Das IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Die Landesregierung finanziert einen Teil des IAB-Panels, um für Baden-Württemberg aussagekräftige Analysen zu bekommen.