Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus hat auch massive Auswirkungen auf den islamischen Fastenmonat Ramadan, der am morgigen Freitag (24. April) beginnt. Auch hier gilt: Fürsorglich Abstand halten und Kontakte auf ein Minimum reduzieren.
Rituale und Traditionen im islamischen Fastenmonat Ramadan wie beispielsweise das gemeinschaftliche Fastenbrechen am Abend, um mit Familie und Freunden zu speisen, oder das gemeinsame Gebet in der Gemeinde werden dieses Jahr nicht wie üblich stattfinden können.
„Die Corona-Pandemie stellt auch religiöse Menschen vor große Herausforderungen. Christen, Juden, Muslime und Angehörige der vielen weiteren Religions- und Glaubensgemeinschaften im Land müssen derzeit auf einiges verzichten, ein gemeinsames Beten beispielsweise ist nicht möglich. Mit Beginn des Fastenmonats Ramadan sind vor allem die Musliminnen und Muslime im Land besonders betroffen“, sagte Sozial- und Gesundheitsminister Manne Lucha in Stuttgart.
Praktikable Lösungen finden
Auch im Fastenmonat Ramadan gelte natürlich: Fürsorglich Abstand halten und Kontakte auf ein Minimum reduzieren – das sei wichtig, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen. „Gemeinsam mit den islamischen Verbänden und Institutionen, die an unserem Runden Tisch der Religionen vertreten sind, wissen wir, dass sich die Musliminnen und Muslime im Land vorbildlich an die Regeln halten. Vor allem jetzt, mit Beginn des Fastenmonats Ramadan, haben sie eine Vorbildfunktion. Wir sind sicher, dass die islamischen Gemeinden und Familien im Land gute und praktikable Lösungen für die Ramadanzeit finden werden“, so der Minister weiter.
So könnten beispielsweise Fastenrituale und -gebete in der eigenen Wohnung stattfinden. Am Ende des Fastenmonats könne man sich telefonisch oder per Skype beglückwünschen. Ramadan-Predigten und Koran-Lesungen können online stattfinden und Spenden online getätigt werden.
„Allen 600.000 Menschen, die sich in Baden-Württemberg zum Islam bekennen, wünsche ich einen gesegneten Ramadan“, so Lucha.
Hintergrundinformation
Für Angehörige des Islam gilt das Fasten als ein der fünf Säulen ihres Glaubens. Während des islamischen Fastenmonats Ramadan dürfen Musliminnen und Muslime von Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang keine Nahrung zu sich nehmen. Für kranke oder altersschwache Menschen sowie schwangere oder stillende Frauen, Kinder und körperlich schwer Arbeitende gibt es Ausnahmeregelungen. Der Ramadan gilt als Zeit der Besinnung, des Verzichts, der Selbstdisziplin sowie der Wohltaten, des Mitgefühls, der Spenden und Gebete.
Zitate von Vertretern der beteiligten Verbände
Der Vorsitzende des Landesverbands der Islamischen Kulturzentren e. V. (LVIKZ) Yavuz Kazanc erklärt: „Dieses Jahr erleben wir aufgrund der aktuellen Situation eine ganz andere und ungewohnte Fastenzeit. Schon bevor Gottesdienstverbote ausgesprochen wurden, haben unsere Gemeinden die täglichen Gebete sowie das wöchentliche Freitagsgebet in den Moscheen einstweilen ausgesetzt, und die Muslime haben ihre Pflichtgebete zu Hause verrichtet. Dafür möchte ich allen mein Respekt und Dank aussprechen. Die für den Ramadan speziellen Tarawih-Gebete, die heute Donnerstagabend beginnen, müssen leider auch individuell alleine oder gemeinsam mit den Familienmitgliedern zu Hause verrichtet werden. Und natürlich planen wir angesichts der aktuellen Corona-Beschränkungen die Ramadan-Predigten und Koran-Lesungen online anzubieten. Gerade in der Zeit der Corona-Krise lehrt der Ramadan die Gläubigen geduldiger und zuversichtlicher zu sein. Die gemeinschaftliche Atmosphäre sowie die spirituelle Dimension des Fastenmonats Ramadan werden wir dieses Jahr leider nicht in der gewohnten Weise erleben. Trotzdem werden alle unsere muslimischen Gemeinden versuchen die Spiritualität im Monat Ramadan durch neue Online-Angebote so gut wie möglich aufrecht zu halten.“
Auch für Erdinc Altuntas, Landesvorsitzender im DITIB-Landesverband Baden-Württemberg e. V., stellt die Auseinandersetzung mit den durch das Coronavirus bedingten Einschränkungen eine ganz neue, bislang nicht dagewesene Situation dar, mit der alle sachlich umgehen müssten und die alle Musliminnen und Muslime vor neue Herausforderungen stelle. Die Freitagspredigten in den 165 DITIB-Gemeinden in Baden-Württemberg seien schon am 13. März 2020 landesweit ausgesetzt worden. Seit dem 15. März habe DITIB Baden-Württemberg jegliche Gottesdienste sowie interkulturelle, interreligiöse, soziale und weitere Aktivitäten in den zum Verband gehörenden Gemeinden eingestellt, wodurch der gesamte Betrieb bis auf die wenigen erlaubten Ausnahmen zum Erliegen gekommen sei. Dieses Handeln stelle aus seiner Sicht einen Präzedenzfall in der Geschichte des Islams dar. Altuntas verweist gleichzeitig auf das große soziale Engagement in den Gemeinden: „Unsere Jugendgruppen mobilisieren sich und organisieren Nachbarschaftshilfen (z.B. Lebensmitteleinkäufe) für kranke und ältere Personen in ihrer Umgebung.“ Folgende weitere Aktivitäten sind in den einzelnen Gemeinden des DITIB Landesverbands Baden-Württemberg laut Altuntas geplant: „Da das gemeinsame Fastenbrechen in den Gemeinden in der gewohnten Form leider nicht stattfinden kann, werden wir in vielen Gemeinden das Essen unter Beachtung der Schutzmaßnahmen vorbereiten und den Fastenden, die alleine bzw. nicht in der Lage sind, selber ein Essen zuzubereiten, die Möglichkeit geben (wiederum unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen) das Essen bei uns abzuholen. Älteren und Risikopersonen, die zu Hause bleiben sollen, wird das Iftar-Essen nach Hause geliefert.
Wie andernorts hat auch der Verband Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland (AMJ) seine fünf repräsentativen Moscheen in Baden-Württemberg sowie die weiteren Gebetsstätten geschlossen. Bei AMJ stehe man selbstverständlich voll und ganz hinter den Auflagen der Bundes- und Landesregierung. Landessprecher Dr. Manan Haq beobachtet die aktuelle Entwicklung aus der Sicht der Ahmadiyya-Gemeinden in Baden-Württemberg: „Das religiöse Leben an sich kommt in der aktuellen Situation Gott sei Dank nicht zum Erliegen. Denn über unsere digitalen Angebote (Muslim Television Ahmadiyya, Youtube-Kanäle und Social Media) erreichen wir unsere Gemeindemitglieder und stehen ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Auch Online-Schülerhilfen in deutscher Sprache gibt es bereits. Die Ahmadi Muslime in unseren Gemeinden haben ihre Gebete natürlich in die eigenen Häuser und Wohnungen verlegt und beten dort für die Gesundheit aller Mitmenschen. Wir werden die Situation beobachten und gemäß den eventuell sich ändernden Vorgaben der Landesregierung unsere Praxis stetig anpassen.“
Laut Prof. Dr. Erdal Toprakyaran, Geschäftsführender Direktor am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Tübingen, entscheiden die einzelnen islamischen Gemeinden jeweils in Rücksprache mit ihrem Dachverband (LVIKZ, DITIB, IGBD etc.) darüber, nach welchem Ritus bzw. welchen Regeln der diesjährige Fastenmonat entsprechend den staatlichen Vorgaben zu absolvieren ist. Das traditionelle weltweite Fasten der Musliminnen und Muslime in diesem Jahr ausfallen zu lassen, werde angesichts der aktuellen Corona-Lage aber nicht ernsthaft diskutiert. „Denn,“ so Toprakyaran, „da es beim Fasten im Kern um einen individuellen Gottesdienst geht, muss man – anders als bei der Pilgerfahrt nach Mekka – sein Haus ja nicht zwingend verlassen. Das gemeinsame Fastenbrechen am Abend ist nicht obligatorisch, genauso wenig wie die gemeinsamen Abendgebete, so wichtig sie den Musliminnen und Muslimen in ‚normalen‘ Zeiten sind. Man kann die Fastenrituale und -gebete individuell oder mit den Familienmitgliedern zusammen in der eigenen Wohnung verrichten. Die Moscheen sind in Deutschland (aber auch etwa in der Türkei) ohnehin geschlossen. Am Ende des Fastenmonats kann man sich telefonisch oder virtuell beglückwünschen. Das Festtagsgebet kann in Krisenzeiten (wie Seuchen, Kriegen etc.) entfallen, wie ja bereits in der jetzigen Situation die islamischen Freitagsgebete ausfallen. In der Geschichte gab es in Krisenzeiten immer Ausnahmeregelungen. Und das islamische Recht ist ja bekannt dafür, äußerst pragmatisch zu sein und sehr viele Ausnahmeregelungen zu kennen. Bei den großen islamischen Verbänden im Land sehe ich einen sehr pragmatischen und vernünftigen Umgang mit der Corona-Krise.“