Sorgerechtsverfahren

„Elternkonsens“ - Unterstützung bei Trennung und Scheidung

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„Hilfestellungen für eine tragfähige einvernehmliche Lösung für Umgangs- und Sorgerecht bei gemeinsamen Kindern“

Trennung und Scheidung führen oft zu Streit über das Umgangs- und Sorgerecht für gemeinsame Kinder. Hier setzt der sogenannte „Elternkonsens“ an. Die von Baden-Württemberg geförderte Verfahrenspraxis will im Interesse des Kindeswohls tragfähige einvernehmliche Lösungen für Umgang und Sorge ermöglichen. Familienrichterinnen und -richter, die Anwaltschaft, Jugendämter, Beratungsstellen, Verfahrensbeistände und Sachverständige unterstützen gemeinsam Eltern in dem Bemühen um eine schnelle und nachhaltige Konfliktlösung. Auf Einladung von Justizministerium und Sozialministerium Baden-Württemberg sind am Mittwoch (4. Februar 2015) mehr als 380 Fachleute in Stuttgart zum „6. Bundeskongress Elternkonsens“ zusammengekommen. Vertreterinnen und Vertreter aller am Familienkonflikt beteiligten Berufsgruppen werden sich fachlich austauschen und neue Impulse für ihre Praxis mitnehmen. Der hochrangig besetzte Kongress ist Auftakt für das Jahr 2015, in dem Baden-Württemberg den Vorsitz der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder innehat.

„Streitige Gerichtsentscheidungen über Umgangs- und Sorgerecht machen Eltern zu Siegern und Verlieren. Darunter leiden am allermeisten die Kinder“, sagten Justizminister Rainer Stickelberger und der Ministerialdirektor des Sozialministeriums Jürgen Lämmle bei der Eröffnung der Veranstaltung am Mittwoch. Sie wiesen darauf hin, dass allein in Baden-Württemberg rund 17.000 Kinder und Jugendliche jedes Jahr von der Scheidung ihrer Eltern betroffen sind. Hinzu kommen die Trennungen von unverheirateten Eltern. „Trennung und Scheidung sind heute statistisch keine Ausnahme mehr. Die Kinder erleben diese Phase jedoch vielfach als extrem belastende Krisensituation, vor allem wenn sich die Eltern mitunter jahrelang vor Gericht über das Umgangs- und Sorgerecht streiten. Hier müssen wir jede nur mögliche Hilfestellung geben, um im Konsens zu einer nachhaltigen Lösung zu gelangen“, so Justizminister Stickelberger.

„Es gibt allerdings keine Einigung um jeden Preis“, betonte Ministerialdirektor Jürgen Lämmle.  Bei Gefahr für das Kindeswohl, etwa im Zusammenhang mit Gewalt oder sexuellem Missbrauch in der Familie, sei eine klare gerichtliche Entscheidung unausweichlich.
Stickelberger und Lämmle verwiesen auf die großen Erfolge des Elternkonsenses. Das „Netzwerk Elternkonsens“ gewährleistet den schnellen und unbürokratischen Austausch zwischen allen beteiligten Professionen. In vielen Bezirken treffen sich diese in Arbeitskreisen, um Fragen der Zusammenarbeit zu besprechen oder gemeinsame Verfahrensleitlinien zu entwickeln. An den 71 baden-württembergischen Familiengerichten werden die Umgangs- und Sorgerechtsverfahren vielfach nach den Grundsätzen des Elternkonsenses gestaltet, die auch Eingang in einen interdisziplinär entwickelten Leitfaden gefunden haben. So können die Familiengerichte etwa durch schnelle Terminierungen häufig eine beschleunigte Bearbeitung von Sorge- und Umgangsrechtsverfahren erreichen. Das Jugendamt wird frühzeitig in das Verfahren eingebunden, die Eltern erhalten kurzfristig Beratungsangebote. Gemeinsame interdisziplinäre Fortbildungsveranstaltungen des Justizministeriums und des Sozialministeriums Baden-Württemberg, oft ergänzt durch eigene Veranstaltungen der örtlichen Arbeitskreise, ermöglichen einen intensiven fachlichen Austausch und sichern ein hohes Niveau von Beratung und Kooperation.

Weitere Informationen zum „Elternkonsens“:

Der Begriff „Elternkonsens“ steht zum einen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit der am Familienkonflikt beteiligten Berufsgruppen. Familiengerichte, Anwaltschaft, Jugendämter, Beratungsstellen, Verfahrensbeistände und Sachverständige sollen gemeinsam darauf hinwirken, bei Trennung und Scheidung eine einverständliche Regelung des Umgangs- und Sorgerechts für die gemeinsamen Kinder zu erreichen.
Zum anderen bezeichnet der „Elternkonsens“ konkret anwendbare Grundsätze und Verfahrensweisen in familiengerichtlichen Verfahren, die im Detail vor Ort an die jeweiligen lokalen Verhältnisse angepasst werden. Viele Arbeitskreise im Land haben sich auf folgende Kernpunkte der Verfahrenspraxis „Elternkonsens“ geeinigt:

 

  • Die Antragsschrift an das Gericht wird auf das Notwendigste beschränkt. Hierzu gehören eine kurze, konzentrierte Sachverhaltsdarstellung ohne persönliche Vorwürfe und der eigentliche Antrag. Eine Erwiderung des Antragsgegners ist vor dem Termin entbehrlich. Grundsätzlich beschränken sich die Anwältinnen und Anwälte auf eine knappe Darstellung der Tatsachen. So soll vermieden werden, dass der Streit eskaliert.
  • Das Gericht terminiert kurzfristig binnen eines Monats nach Eingang des Antrags. In dem Gerichtstermin erhalten beide Elternteile ausreichend Gelegenheit, alle Punkte vorzubringen, die sie für wesentlich erachten.
  • Das Jugendamt wird sofort in das Verfahren eingebunden und nimmt an dem ersten Gerichtstermin teil. Zuvor führt der zuständige Mitarbeiter Gespräche mit beiden Elternteilen und den Kindern. Teilweise verabreden Gericht und Jugendamt, dass ein schriftlicher Bericht des Jugendamtes nicht erforderlich ist.
  • Alle am Verfahren beteiligten Berufsgruppen wirken während des gesamten Verfahrens auf ein Einvernehmen der Eltern hin.
  • Kommt eine Einigung im ersten Gerichtstermin nicht zustande, wird den Eltern kurzfristig eine Beratungsmöglichkeit angeboten.
  • Viele Gerichte setzen sogleich einen Folgetermin fest, um das Verfahren zügig weiterbetreiben zu können, wenn die Eltern auch in der Beratung keine Einigung finden.

In der großen Mehrzahl der Fälle gelingt es auf diese Weise, entweder bereits im ersten Termin oder während der Beratung eine von den Beteiligten auch innerlich akzeptierte, einvernehmliche Lösung zu finden.
Die besondere Verfahrensweise Elternkonsens wird im Land nicht schematisch auf alle Fälle angewandt. In besonderen Situationen, zum Beispiel bei drohender Kindeswohlgefährdung im Zusammenhang mit Gewalt in der Familie oder bei sexuellem Missbrauch, stößt die Verfahrenspraxis an ihre Grenzen. Eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Berufsgruppen vor Ort ermöglicht in diesen Fällen eine flexible Reaktion und die Wahl einer für den Einzelfall passenden Verfahrensweise.

Mehr zu „Elternkonsens“ auf dieser Seite.

Weitere Informationen zum „Elternkonsens“ finden sich auch im Internetportal www.elternkonsens.de. Hier steht den einzelnen Arbeitskreisen zudem ein passwortgeschützter interner Arbeitsbereich zur Verfügung, der die interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter erleichtert.

Weitere Informationen zur Justizministerkonferenz:
Zum Jahreswechsel hat Baden-Württemberg nach 1999 wieder den Vorsitz über die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder (Justizministerkonferenz, JuMiKo) übernommen.
Die Justizministerkonferenz ist ein wichtiges Forum für neue Ideen und Innovationen auf dem Gebiet der Rechtspolitik. Sie dient der Vorstellung und Abstimmung rechtspolitischer Vorhaben der Bundesländer. Jedes Land kann Themen zur Beratung anmelden. Die Justizministerkonferenz koordiniert aber nicht nur die Justizpolitik der Länder untereinander, sondern ist zugleich zentrales Instrument für die Vertretung der gemeinsamen rechtspolitischen Interessen der Länder gegenüber dem Bund. Deshalb nimmt auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz teil. Durch die Beschlüsse der Justizministerkonferenz‎ geben die Länder der rechtspolitischen Entwicklung in Deutschland wichtige Impulse. Beispielsweise wirft eine älter werdende Gesellschaft viele neue Rechtsfragen auf. Auch die Digitalisierung stellt die Justiz vor große Herausforderungen. Die Beiträge Baden-Württembergs werden sich im Schwerpunkt dieser Fragen annehmen.
Die Justizministerkonferenz tagt zweimal jährlich. Die Frühjahrskonferenz findet am 17. und 18. Juni 2015 im Neuen Schloss in Stuttgart statt. Die Herbstkonferenz trifft sich am 12. November 2015 in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg in Berlin.

Eine Übersicht über die Fachveranstaltungen zur Vorbereitung und im Zusammenhang mit der Justizministerkonferenz finden Sie unter www.justizministerkonferenz.de und www.jumiko.de.