Sozialministerin Katrin Altpeter will den sexuellen Missbrauch von Kindern mit einem breiten Maßnahmenpaket bekämpfen. Neben Aufklärungsinitiativen für Kinder, Eltern, Aufsichtspersonen und Fachkräfte unterstützt die Landesregierung deshalb jetzt auch Beratungs- und Behandlungsangebote für so genannte Tatgeneigte.
So soll verhindert werden, dass potenzielle Täter sich tatsächlich an Kindern vergreifen. Eine entsprechende Vereinbarung mit der Behandlungsinitiative Opferschutz in Karlsruhe (BIOS), dem Verein Bewährungshilfe Stuttgart und dem neuen Standort des Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ an der Universitätsklinik Ulm hat Ministerin Altpeter heute (10. April) in Stuttgart unterzeichnet. Diese drei Angebote werden zu einem Behandlungsnetzwerk verbunden, was es in dieser Form bundesweit bislang noch nicht gibt.
Ministerin Altpeter: „Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein schlimmes Verbrechen. Wir wollen möglichst viele dieser schrecklichen Taten verhindern und wenden uns deshalb ganz bewusst auch an die potenziellen Täter. Damit stärken wir den präventiven Opferschutz in unserem Land.“ Das Sozialministerium stellt den Institutionen für zunächst zwei Jahre jährlich 170.000 Euro zur Verfügung.
Die Angebote richten sich an Menschen, die sich in ihren Phantasien sexuelle Handlungen mit Kindern vorstellen oder sich dazu gedrängt fühlen sowie Menschen, die im Verborgenen bereits als Täter agiert haben – beispielsweise indem sie Kinderpornografie konsumiert haben.
Beratungen und Behandlungen für Tatgeneigte bietet die Behandlungsinitiative Opferschutz e.V. (BIOS) mit ihrem Programm „Keine Gewalt- oder Sexualstraftat begehen“ bereits seit längerem an. Sie wird in dieser Arbeit zukünftig in Bezug auf Tatgeneigte, deren mögliche Opfer Kinder sind, finanziell unterstützt. Richter Klaus Böhm bedankte sich als 1. Vorsitzender von BIOS für die Unterstützung des Sozialministeriums. „Die jetzt abgeschlossene Kooperation gewährleistet eine lückenlose Versorgung im Land und ist dadurch ein Modellprojekt für ganz Deutschland. BIOS behandelt heute bereits etwa 140 Personen in Karlsruhe und weiteren Orten im Land. Durch die Förderung kann das derzeitige Angebot weiter ausgebaut werden“, so Böhm. Ziel von BIOS sei es, durch ein frühzeitiges und nicht allein auf so genannte pädophile Tatgeneigte ausgerichtetes Behandlungsangebot einen erstmaligen sexuellen Übergriff auf ein Kind zu verhindern.
Die Bewährungshilfe Stuttgart e.V. betreut seit 1951 vor allem abgeurteilte Straftäter, unter ihnen auch Sexualstraftäter. Seit 1998 betreibt der Verein für diese eine psychotherapeutische Ambulanz. „Die Förderung durch das Sozialministerium ermöglicht nun auch ein Angebot für Tatgeneigte zur Vermeidung von Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg“, so Thomas Kammerlander, Geschäftsführer des Vereins. Die Bewährungshilfe Stuttgart e.V. entwickelt ein internetbasiertes Beratungsangebot mit Informationsmaterialien, einem Selbsttest und einem verhaltenstherapeutischen Trainingsprogramm. Dieses Internetangebot soll tatgeneigten Personen aus dem Dunkelfeld Hilfe anbieten. Darüber hinaus werden für diesen Personenkreis spezielle Therapieplätze vorgehalten.
Die Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Ulm wird im Rahmen der Vereinbarung einen Standort des bundesweiten Netzwerks „Kein Täter werden“ aufbauen. Das Netzwerk ist ein durch das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Berliner Charité initiiertes und koordiniertes Projekt, das sich auf die Behandlung Pädophiler aus dem Dunkelfeld konzentriert. „Die Arbeit unserer Kollegen aus dem Präventionsnetzwerk ‚Kein Täter werden‘ zeigt, dass dieses Therapieangebot Menschen mit pädophiler Neigung dabei helfen kann, keine Übergriffe auf Kinder zu begehen“, so Prof. Harald Gündel, Ärztlicher Direktor an der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Ulm. Er ergänzte: „Wir arbeiten momentan an der Etablierung unseres neuen Standortes, der spätestens im Juni 2014 eröffnen soll. Betroffene sollen die Botschaft erhalten ‚Du bist nicht schuld an Deinen sexuellen Gefühlen, aber Du bist verantwortlich für Dein sexuelles Verhalten! Es gibt Hilfe! Werde kein Täter!’“
Sexuellen Missbrauch durch Aufklärung eindämmen
Ministerin Altpeter stellte klar, dass die Beratung und Behandlung potenzieller Täter nur ein Baustein sein kann, um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern. Wesentlich ist auch die Aufklärung und Stärkung von Kindern, Eltern und Aufsichtspersonen und die Schulung von Fachkräften. Das Sozialministerium unterstützt entsprechende Initiativen seit Jahren. Auch die gerade in Baden-Württemberg angelaufene bundesweite Initiative „Trau dich!“ zur Prävention des sexuellen Missbrauchs wird vom Sozialministerium mit 15.000 Euro gefördert.
Mit rund 600.000 Euro im Jahr unterstützt das Sozialministerium die Aktion Jugendschutz Baden-Württemberg, einen Zusammenschluss von 19 Spitzenverbänden. Der Verein setzt sich für die Stärkung, den Schutz und die Rechte von Kindern und Jugendlichen ein und legt einen Schwerpunkt auf die Prävention von sexueller Gewalt durch Aufklärung von Kindern, Eltern und Aufsichtspersonen.
Kinder über ihre Rechte aufklären will die Ministerin auch mit einem eigenen Jahr der Kinder- und Jugendrechte Baden-Württemberg 2014. Zahlreiche Verbände, Vereine, Kommunen und Schulen beteiligen sich mit vielfältigen Aktionen daran. „Wir müssen unsere Kinder stark und selbstbewusst machen, damit sie sich trauen, sich zu wehren und Hilfe zu suchen, wenn sie belästigt werden“, so Altpeter.
Frühe Hilfen schützen Kinder von klein auf
Kinder können am besten vor Missbrauch geschützt werden, wenn alle, die mit ihnen zu tun haben, von Anfang an aktiv zusammenarbeiten. Das Land unterstützt deshalb die Stadt- und Landkreise beim Aufbau und der Fortentwicklung von Netzwerken zu Kinderschutz und Frühen Hilfen.
Frühe Hilfen umfassen vielfältige, aufeinander bezogene und einander ergänzende Angebote und Maßnahmen. Ziel ist es, dass Risiken für das Wohl und die Entwicklung des Kindes frühzeitig wahrgenommen und reduziert werden. Zentral ist deshalb eine enge Vernetzung und Kooperation von Institutionen und Angeboten aus den Bereichen der Schwangerschaftsberatung, des Gesundheitswesens, der interdisziplinären Frühförderung, der Kinder- und Jugendhilfe und weiterer sozialer Dienste.
Schnelle und unbürokratische Hilfen für Opfer
Für den Fall, dass ein Kind Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden ist, muss es so schnell wie möglich Therapie und Hilfe finden. Deshalb hat Ministerin Altpeter im März einen Modellversuch mit sechs Traumaambulanzen für die Opfer von Gewalttaten gestartet, darunter die Traumaambulanzen in Ravensburg und in Offenburg speziell für Kinder. Dort können Kinder in akuten Notlagen rund um die Uhr Therapie und Hilfe finden. Damit setzt das Sozialministerium eine wichtige Forderung der Zweiten Opfer- und Zeugenschutzkommission um.
Darüber hinaus gibt es derzeit über 40 Frauen- und Kinderschutzhäuser, 57 Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder, 26 Notrufe, vier Beratungsstellen für von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Zwangsverheiratung Betroffene und 51 Beratungs- und Anlaufstellen für Opfer sexueller Gewalt, an die sich Kinder und Jugendliche, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind, wenden können.