Um gut für die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen insbesondere im Herbst und Winter gerüstet zu sein, haben Gesundheitsminister Manne Lucha und die Teilnehmenden des Fachsymposiums Kinder- und Jugendgesundheit konkrete Maßnahmen vereinbart.
Um gut für die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen insbesondere in den herausfordernden Wintermonaten gerüstet zu sein, hat Gesundheitsminister Manne Lucha am Dienstag (25. Juli) zu einem hochkarätig besetzten Fachsymposium zur Kinder- und Jugendgesundheit eingeladen.
„Wir erinnern uns noch lebhaft und mit Schrecken an den vergangenen Winter. Keine Fiebersäfte, kaum freie Betten in den Kliniken und völlig überlastete Praxen – das müssen wir dieses Mal mit aller Kraft verhindern und besser machen“, sagte Lucha bei der Veranstaltung vor Vertreterinnen und Vertretern von Ärzteschaft, Kammern, Verbänden und Apotheken.
Gemeinsam konkrete Maßnahmen vereinbart
Gemeinsam verabschiedeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Erklärung mit konkreten Maßnahmen. Denn nur kooperativ und mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen könne es gelingen, die gute und flächendeckende Versorgung der kleinen Patientinnen und Patienten im Land zu sichern, betonte der Minister. „Wir müssen als Verantwortungsgemeinschaft alles geben. Mir war es wichtig, noch vor den Sommerferien kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen festzuzurren. Gesundheitspolitik ist immer ein Zusammenspiel vieler Beteiligter – deshalb bin ich dankbar, dass ich rund hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Sparkassenakademie begrüßen konnte. Allen Engagierten vor Ort – den Pflegerinnen und Pflegern, den Ärztinnen und Ärzten, den Therapeutinnen und Therapeuten sowie denjenigen, die in Verwaltungen unterstützen – bin ich zutiefst dankbar für ihre wichtige Arbeit“, so Minister Lucha.
In ihrer gemeinsamen Erklärung (PDF) vereinbarten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam mit Minister Lucha unter anderem folgende Punkte:
Gute ambulante Versorgung ist Schutzschirm
In Zeiten der Corona-Pandemie waren die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im wahrsten Sinne auch eine Art Schutzschirm für die Krankenhäuser, damit diese sich auf die Behandlung der schweren Fälle konzentrieren konnten. Eine äußerst wichtige, nicht wegzudenkende Rolle spielt die ambulante ärztliche Versorgung allerdings nicht nur in Phasen eines hohen Infektionsgeschehens, sondern tagtäglich und in allen Fachbereichen, gerade auch in der Kinder- und Jugendmedizin. Darum setzt sich Gesundheitsminister Manne Lucha als Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz dafür ein, dass auf Bundesebene die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Tätigkeit für Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte im Land wieder attraktiver werden. Ein wesentlicher Baustein ist die seitens der Gesundheitsministerkonferenz geforderte Reform der Bedarfsplanung im Bereich der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte.
Überdies sind mit Blick auf künftige Infektionswellen kurzfristige Maßnahmen erforderlich, um Kinder- und Jugendarztpraxen etwa im Zusammenhang mit Attestpflichten zu entlasten. Mit diesen und weiteren Maßnahmen wie dem Förderprogramm „Landärzte“ und der Landarztquote im Medizinstudium wird das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration seinen Beitrag leisten, die ärztliche Versorgung der Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg sowohl kurzfristig zu entlasten als auch nachhaltig zu stärken.
Sicherung von Finanzierung und Personal in Kliniken muss Priorität haben
Obwohl im kommenden Winter mit keinen Infektionswellen wie in den vergangenen Jahren zu rechnen ist, ist die Lage in den Krankenhäusern weiterhin angespannt. Das Pflegepersonal sowie die Ärztinnen und Ärzte stoßen zunehmend an ihre Leistungsgrenzen. Zudem ist die wirtschaftliche Lage herausfordernd. Besonders betroffen ist die Kinder- und Jugendmedizin. „Hier ist in erster Linie der Bund in der Pflicht. Er muss anlässlich der anstehenden Krankenhausreform dafür Sorge tragen, dass die Pädiatrien finanziell abgesichert werden“, forderte Minister Lucha. Zudem müsse die Idealbesetzung des Pflegepersonals so definiert werden, dass jedes Kind und jeder Jugendliche eine qualitativ hochwertige stationäre medizinische Behandlung und Betreuung erhält. Gesundheitsminister Manne Lucha und die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft e. V. (BWKG) haben auf dem Fachsymposium zudem an alle Kinderkliniken in Baden-Württemberg appelliert, sich möglichst frühzeitig auf etwaige Personalengpässe in der Pädiatrie im kommenden Winter vorzubereiten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Konkret heißt es in der gemeinsamen Vereinbarung: „Angesichts möglicher Engpässe in der stationären Versorgung auch in den kommenden Herbst- und Wintersaisons appellieren die Akteure des Fachsymposiums an alle Kinderkliniken in Baden-Württemberg, ihre intensiven Bemühungen um eine bedarfsgerechte Ausbildung und Sicherung von qualifizierten Pflegekräften für Kinder und Jugendliche aufrecht zu erhalten. Ebenso werden die betroffenen Krankenhäuser gebeten, im Fall akuter Engpässe in der stationären pädiatrischen Versorgung unter Wahrung der ansonsten gebotenen Versorgungsqualität zu prüfen, inwieweit weiteres Personal aus anderen Abteilungen der Pädiatrie zugewiesen werden kann.“
Weichen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung stellen
Das Land ist dankbar für das Engagement vieler Medizinstudierender, niedergelassener und angestellter Ärztinnen und Ärzte, die sich für die Kinder- und Jugendmedizin einsetzen. Jetzt gilt es, in der Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung für dieses wichtige ärztliche Einsatzgebiet die Weichen zu stellen.
Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration hat eine Aufbauhilfe für die Verbesserung von Fort- und Weiterbildung in der Kinder- und Jugendmedizin geleistet. Die aktuell beratene Ärztliche Approbationsordnung muss die richtigen Signale setzen. Dafür setzt sich Baden-Württemberg ein. Die Landesärztekammer und ihre Mitglieder unterstützen das Anliegen nach Kräften mit einer Fortbildungsoffensive und Aufklärung darüber, wie die Ressourcen der Kinder- und Jugendmedizin besser eingesetzt werden.
„Ich habe als Vorsitzender der diesjährigen Gesundheitsministerkonferenz erreicht, dass ein grundlegender Beschluss zur Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen zustande kam. Er betrifft auch die Fachkräftesicherung in der Kinder- und Jugendmedizin. Das Fachsymposium zeigt, wie wichtig es ist, dass alle Adressaten diese Forderungen von uns Ländern sehr ernst nehmen und sich an die Arbeit machen – jeder in seinem Verantwortungsbereich“, so Minister Lucha.
Entscheidungsfreiheit für Apotheken bei Ersatzarzneimitteln ist unabdingbar
„Wir sollten alle mit geltendem Recht und der Arzneimittelsicherheit zu vereinbarenden Möglichkeiten nutzen, um eine bedarfsgerechte Arzneimittelversorgung sicherzustellen“, sagte Gesundheitsminister Lucha. Vor diesem Hintergrund hat die Gesundheitsministerkonferenz das Bundesgesundheitsministerium aufgefordert, mit den Ländern einen umfassenden und konstruktiven Dialog zu den Themen aufzunehmen, die für eine grundlegende Trendwende bei der Arzneimittelsicherheit mittel- und langfristig unumgänglich sind. Dabei muss der Versorgungsaspekt klar im Vordergrund stehen. Die dringend benötigten Kapazitäten in den Vor-Ort-Apotheken dürfen nicht durch Bürokratieaufwand, der nicht der Arzneimittel- und Versorgungssicherheit dient, gebunden werden.
Gesundheitskompetenz ist langfristiger und präventiver Faktor
Um präventiv und langfristig die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu stärken, muss ihre Gesundheitskompetenz gefördert werden. Dabei ist es wichtig, dass die Verantwortung nicht alleine bei ihnen und ihren Eltern, sondern auch bei Organisationen verortet wird. Das bedeutet, dass die Strukturen gesundheitskompetent gestaltet werden müssen, damit Verhaltensänderungen für jeden Einzelnen leichter umsetzbar sind. Dafür braucht es gemeinsame Anstrengungen von allen relevanten Akteurinnen und Akteuren inner- und außerhalb des Gesundheitswesens.
„Wissen über gesundheitsförderliches Verhalten kann Erkrankungen verhindern. Das ist entscheidend für den Einzelnen im Erkrankungsfall und für die effiziente Nutzung des gesundheitlichen Versorgungssystems“, betonte Minister Lucha.
Lotsenmodelle können für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen einen Beitrag zur Gesundheitskompetenz leisten. Beispielhaft seien hier Schulgesundheitsfachkräfte oder Gesundheitslotsen für Migrantinnen und Migranten genannt. Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist der ideale Akteur, um Gesundheitskompetenz zu erhöhen, hat er doch nicht nur Zugang zu den Lebenswelten und einen Überblick über die Bedarfslage und die Zusammensetzung der Bevölkerung vor Ort, sondern mit den kommunalen Gesundheitskonferenzen auch die ideale Vernetzungsstruktur.
Stimmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Fachsymposiums
„Die Krankenhäuser bereiten sich intensiv auf möglicherweise wieder steigende Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen in den Wintermonaten vor. Je nach individueller Situation wird versucht, zusätzliche Kräfte einzustellen, die Arbeitszeit vorhandener Fachkräfte in Teilzeit befristet anzuheben oder notfalls auch Leasingkräfte einzustellen. Es wäre dringend nötig, dass der Gesetzgeber die Kinderkliniken von Kurzliegerabschlägen ausnimmt. Dann könnten sich die vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voll auf die Behandlung schwer erkrankter Kinder konzentrieren. Mittelfristig ist es nötig, die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten der Krankenhäuser im Bereich der Pädiatrie deutlich auszuweiten. Das kommt den Patientinnen und Patienten und den Familien entgegen und entlastet das Fachpersonal.“
„Kinderärztinnen und -ärzte sind die erste und wichtigste Anlaufstelle in der medizinischen Versorgung der Kinder und Jugendlichen. Sie wissen um die Nöte der kleinen Patienten und die Sorgen der Eltern. Auch in diesem Herbst und Winter kann es erneut zu Versorgungsengpässen kommen. Dass gerade Kinder und Jugendliche darunter wieder besonders leiden müssen, sollten wir nicht hinnehmen. Umso wichtiger ist es daher, dass wir im Rahmen dieses Fachsymposiums alle an einem Strang gezogen haben. Vorausschauen und die Kinderärztinnen und -ärzte an so vielen Stellen wie möglich entlasten, das war unser gemeinsames Ziel. Die Ärztekammer fordert unter anderem, bürokratische Hindernisse für die Ärzteschaft aus dem Weg zu räumen und dadurch die Rahmenbedingungen für alle zu verbessern. Gerade in der Notfallversorgung können wir noch besser zusammenarbeiten, gute Beispiele, Best Practice in einzelnen Zentren machen Mut.“
„Schon im Vorfeld des Symposiums wurden Lösungsvorschläge seitens der Ärzteschaft erarbeitet. Die Kinder- und Jugendmedizin braucht mehr Ärztinnen und Ärzte – hier besteht großer Handlungsbedarf. Dazu gehören unter anderem mehr Pädiatrie-Ausbildungsplätze im Praktischen Jahr, mehr ‚Stunden am Kind‘ im Medizinstudium und insgesamt mehr Medizin-Studienplätze. Angehende Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte lernen ihr Handwerk in Kliniken und Praxen; das sollte in Baden-Württemberg finanziell besser als bisher gefördert werden. Außerdem muss alles dafür getan werden, die elterliche Gesundheitskompetenz zu erhöhen; gerade hier brauchen wir breite Unterstützung durch Politik und Gesellschaft.“
„Die Vielzahl der Infekte im letzten Winter hat deutlich gezeigt: Die ambulante wohnortnahe haus- und kinderärztliche Versorgung ist gefährdet und leider nicht selbstverständlich überall ausreichend verfügbar. Umso wichtiger, dass die Gesundheitspolitik sich daran ausrichtet, die ambulante Versorgung noch mehr zu stärken. Investitionen in die Weiterbildung und gute Rahmenbedingungen für die Praxen sichern Kindergesundheit, Familiengesundheit und damit Zukunft.“
„Die Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen ist ein wichtiges Element der Daseinsvorsorge. Die Personalressourcen im Bereich der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege müssen durch bundesweit einheitliche Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen ausgebaut und wo immer möglich durch geeignetes Assistenzpersonal entlastet werden. Die Landesregierung unter Führung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration hat die Möglichkeit, durch geeignete Maßnahmen (z.B. Kapazitätsmonitor, Ausbau Telemedizin, landesweite Koordinierungsstelle) gemeinsame Lösungen der komplexen Versorgungsproblematik auf regionaler Ebene zu forcieren.“
„Es ist wichtig, dass jetzt der Grundstein für langfristige Lösungsansätze in der Versorgung unserer pädiatrischen Patient:innen gelegt wird. Wir wollen die interprofessionelle und sektorenübergreifende Zusammenarbeit stärken und gemeinsam mit der Politik an einem Strang für die Gesundheit und Zufriedenheit aller Beteiligten (Patient:innen, Familien, Pflege, MFAs, Ärzt:innen etc.) ziehen. Wir sehen hier bereits die Unterstützung des Ministeriums für neue Ansätze und wollen gemeinsam für die konkrete Umsetzung weiterarbeiten.“
„Wir müssen den Kindern und Jugendlichen im Land stabile medizinische Versorgungsstrukturen garantieren und dabei sowohl die stationäre als auch die ambulante kinder- und jugendärztliche Versorgung im Blick haben. Auch die mangelnde Arzneimittelversorgung – erinnert sei an die massiven Versorgungsprobleme mit Fiebersäften oder Antibiotika für Kinder in den vergangenen Wintermonaten – darf in einem hochentwickelten Land wie unserem nicht zur Regel werden. Viele Maßnahmen, an denen auch die Kassen beteiligt sind, entfalten ihre Wirkung mittel- oder gar erst langfristig. Ein schnell wirksamer Schlüssel zum Erfolg, um die knappen medizinischen und kinderärztlichen Ressourcen einzusetzen, ist zum Beispiel die richtige Patientensteuerung, die durch selektivvertragliche Vereinbarungen unterstützt werden kann. Die AOK Baden-Württemberg hat mit dem Pädiatriemodul als Teil der Hausarztzentrierten Versorgung wertvolle Erfahrung damit gemacht.“
„Wir Apotheker tun alles in unserer Macht stehende, um gerade auch die Arzneimittelversorgung von Kindern und Jugendlichen in kritischen Zeiten aufrechtzuerhalten. Dabei haben sich im vergangenen Winter die erweiterten Möglichkeiten zum Austausch von wirkstoffgleichen Arzneimitteln, der sehr zeitaufwändige Import von Arzneimitteln aus dem Ausland und letztendlich auch die Individualherstellung in der Apotheke bewährt. Der Schlüssel bei der Lösung des Problems ist und bleibt für mich die Rückverlagerung der Produktion von wichtigen Wirkstoffen und Fertigarzneimitteln nach Deutschland oder zumindest in die Europäische Union. Die jetzige Abhängigkeit von wenigen Herstellern im außereuropäischen Ausland begünstigt insbesondere in geopolitisch unruhigen Zeiten die Entstehung von Lieferengpässen, von denen in vielen Fällen Kinder und Jugendliche ganz besonders betroffen sind.“