Die Zahlen sind alarmierend: Vier von zehn Frauen in Deutschland waren schon mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt. Die Landesregierung hat deshalb nun ihren Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen vorgelegt. Ziel: Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, soll besser geholfen werden.
Sozialministerin Katrin Altpeter hat am Montag (24. November) im Stuttgarter Rathaus vor 250 Fachleuten den Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen vorgestellt. Mit diesem Plan liegen erstmals eine vollständige Übersicht über das baden-württembergische Hilfesystem und zugleich auch ein darauf aufbauender Maßnahmenkatalog vor, um diese Hilfen noch zielgenauer zu verbessern.
Anders als in anderen Bundesländern nimmt der baden-württembergische Landesaktionsplan nicht allein die häusliche Gewalt in den Blick, sondern auch sexuelle Gewalt, Menschenhandel, Zwangsprostitution und Zwangsverheiratung. Der Landesaktionsplan, der in einem rund zweijährigen Prozess von allen wesentlichen Akteuren erarbeitet wurde, soll in Kürze vom Kabinett verabschiedet werden. Für die Umsetzung der Maßnahmen des Landesaktionsplans stehen in den kommenden beiden Jahren insgesamt rund 3,6 Millionen Euro zur Verfügung.
Ministerin Altpeter: „Schon heute können betroffene Frauen in Baden-Württemberg auf ein breites Netz von Schutz- und Beratungsangeboten zurückgreifen. Aber Gewalt hat verschiedene Formen und verschiedene Auswirkungen. Mit dem Landesaktionsplan wollen wir sicherstellen, dass betroffene Frauen überall im Land sofort Schutz und genau die Unterstützung erhalten, die sie benötigen.“ Der Aktionsplan enthalte zudem viele Empfehlungen mit dem Ziel, Täter konsequenter zu verfolgen und zu bestrafen.
Landeskoordinierungsstelle unterstützt Zusammenarbeit
Eine wesentliche Weiterentwicklung des Hilfesystems erwartet Ministerin Altpeter von der Einrichtung einer Landeskoordinierungsstelle, die die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Behörden und Institutionen auf kommunaler und Landesebene verbessern soll. „Um Gewalt gegen Frauen zu verhindern und zu bekämpfen, muss die Arbeit vieler Institutionen und Gremien erfolgreich ineinandergreifen und aufeinander aufbauen. Die Landeskoordinierungsstelle unterstützt eng vernetzte und aufeinander abgestimmte Interventionsketten zwischen Polizei, Unterstützungs- und Gesundheitssystem, Rechtsmedizin, Familiengerichten, Jugendhilfe, Staatsanwaltschaft, Opferhilfe und Täterarbeit“, erklärte die Ministerin.
Aufgabe der Landeskoordinierungsstelle werde es zudem sein, spezielle Schutzkonzepte für Frauen zu entwickeln, die etwa aufgrund einer Behinderung oder einer Suchterkrankung besondere Unterstützung benötigen. Unterstützt und begleitet wird die Landeskoordinierungsstelle durch einen Fachbeirat, in dem alle relevanten Akteure vertreten sind. Er soll einen ständigen Austausch und ein gegenseitiges Lernen der Beteiligten voneinander sicherstellen sowie die Umsetzung der Maßnahmen fachlich begleiten und bewerten.
Zusätzliche Förderung trotz angespannter Haushaltslage
Trotz angespannter Haushaltslage kündigte die Ministerin an, die finanzielle Unterstützung für das Hilfesystems zu erhöhen. Ab dem kommenden Jahr werde – vorbehaltlich der Zustimmung des Landtags – die neue Gewaltambulanz Heidelberg mit 150.000 Euro im Jahr gefördert. In der Gewaltambulanz haben Gewaltopfer rund um die Uhr die Möglichkeit, sich rechtsmedizinisch untersuchen zu lassen. Außerdem werden Beweise und Spuren gerichtsfest dokumentiert und gesichert – auch dann, wenn das Opfer keine Anzeige erstattet hat. Darüber hinaus werde das Land – zusätzlich zu bereits bestehenden Förderungen – ab dem kommenden Jahr Projekte von Fachberatungsstellen gegen häusliche und sexuelle Gewalt bezuschussen, damit noch mehr Frauen ein niedrigschwelliger und unkomplizierter Zugang zu Beratungsangeboten ermöglicht wird.
Altpeter bekräftigte, dass sie auch die Förderung der Frauen- und Kinderschutzhäuser weiterführen wird. Sie hatte die Bezuschussung der Kosten von Frauenhäusern für Prävention, Nachsorge und eine qualifizierte Notaufnahme bereits 2013 um 500.000 Euro auf mehr als 1,1 Millionen Euro im Jahr erhöht. „Zwar sind die Stadt- und Landkreise im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge für die Finanzierung von Frauenhäusern zuständig, aber wir können mit unserer Förderung dabei helfen, Zugangsbarrieren ins Hilfesystem abzubauen und eine landesweit gleichwertige Versorgung herzustellen.” Da die Finanzierung von Frauen- und Kinderschutzhäusern aufgrund fehlender verbindlicher Finanzierungsregelungen durch den Bund vielerorts auf wackligen Beinen steht, setzt sich die Ministerin auf Bundesebene seit langem für eine einheitliche Finanzierungsregelung für die Unterbringung von Frauen in Schutzhäusern ein.
Die Ministerin: „Unsere Gesellschaft darf Gewalt gegen Frauen nicht hinnehmen. Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit, auf Leben, Sicherheit und Würde. Leider kommt Gewalt gegen Frauen aber auch heute noch vor – und zwar in allen gesellschaftlichen Schichten. Für die Frauen bedeutet Gewalt mehr als die körperlichen Misshandlungen. Gewalt zu erleben führt in vielen Fällen neben körperlichen Schädigungen auch zu schwerwiegenden seelischen Belastungen und Erkrankungen. Und wir müssen uns immer bewusst sein: bei jeder gewaltbetroffenen Frau, die Kinder hat, leiden die Kinder ebenso wie die Mutter. Ich bin deshalb sehr stolz auf den Landesaktionsplan. Er wird sehr dazu beitragen, Frauen und Kindern in Baden-Württemberg ein Leben ohne Gewalt zu ermöglichen.“
Ergänzende Informationen
Nach einer vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Studie sind 40 Prozent aller Frauen ab 16 Jahren in Deutschland mindestens einmal Opfer körperlicher und/oder sexueller Gewalt geworden. Polizeiliche Kriminalstatistiken und Dunkelfeldstudien zeigen, dass Frauen besonders häufig Opfer häuslicher Gewalt werden. Jede vierte Frau wird im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt durch ihren aktuellen oder ehemaligen Ehe- oder Lebenspartner. Für Baden-Württemberg führt die Kriminalstatistik für 2013 9.079 Delikte häuslicher Gewalt an Frauen ab 16 Jahren auf. Außerdem wurden 595 Delikte sexueller Gewalt, sechs Fälle von Zwangsverheiratung und 29 Fälle von Menschenhandel/Zwangsprostitution registriert. Dunkelfeldstudien kommen jedoch zu dem Schluss, dass die tatsächliche Zahl der Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt um das bis zu 8-14-fache höher liegt. Auch Zwangsverheiratung und Menschenhandel werden nur in den seltensten Fällen angezeigt.