Auf dem Landespsychiatrietag in Stuttgart erteilte Gesundheitsministerin Katrin Altpeter der Vorstellung einer kompletten Dezentralisierung aller psychiatrischen Angebote eine klare Absage. Zwar sei der Trend zur Dezentralisierung der großen psychiatrischen Einrichtung unübersehbar und werde auch vom Land unterstützt. Einer vollständigen Auflösung größerer zentraler Einrichtungen zugunsten lokaler Versorgungssysteme werde sie aber nicht die Hand reichen. „Konzepte der Spezialisierung und der Gemeindepsychiatrie sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie können und müssen sich vielmehr sinnvoll ergänzen. Wir brauchen beides: dezentrale Einheiten zur Verbesserung gemeindepsychiatrischer Angebote, aber auch zentralere Einheiten einer bestimmten Größe“, so Ministerin Altpeter.
In zentraleren Einheiten könnten Therapieangebote vorgehalten werden, die sich in kleineren Einheiten betriebswirtschaftlich oft nicht rechneten. Die Ministerin nannte beispielhaft eine ausdifferenzierte Arbeitstherapie oder auch die Vielfalt kunst- und musiktherapeutischer Angebote. Auch könnten Teams mit vielfältiger multiprofessioneller Kompetenz Konzepte verwirklichen, die auf die Bedürfnisse verschiedener Patientengruppen besonders abgestimmt sind. Exemplarisch verwies die Ministerin hier auf Depressionsstationen oder Stationen für Menschen mit einer Borderline-Störung.
Außenstellen und dezentrale Hilfeangebote dagegen würden helfen, die psychiatrische Versorgung in der Fläche durch gemeindenahe voll- und teilstationäre Angebote zu verbessern.
Auf dem Landespsychiatrietag in Stuttgart machte Ministerin Altpeter deutlich, dass sich die psychiatrische Landschaft seit der Psychiatrie-Enquete vor über 35 Jahren grundlegend verändert habe – und mit ihr auch Rolle, Form und Qualität der psychiatrischen Krankenhäuser. Neben die früher oft als „Dinosaurier“ bezeichneten Großkrankenhäuser seien Abteilungspsychiatrien getreten, die durch ihre räumliche Nähe zur somatischen Medizin der Stigmatisierung psychisch Kranker entgegenwirkten und innerhalb eines gemeindepsychiatrischen Verbundsystems einen wichtigen Part im Zusammenspiel mit einer Vielzahl anderer Leistungsanbieter übernähmen.
Auch die Zentren für Psychiatrie hätten die Herausforderungen aus dem gewandelten Verständnis psychiatrischer Versorgung angenommen. Alle Zentren verfügten inzwischen über ein flexibles System voll- und teilstationärer sowie ambulanter Behandlung und auch das Netz vertraglich festgelegter Kooperationen durch gemeindepsychiatrische Verbünde werde zunehmend enger geknüpft.
Landespsychiatriegesetz
Die Gesundheitsministerin ging in ihrer Rede vor dem Landespsychiatrietag auch auf aktuelle Gesetzesvorhaben ein. Derzeit erarbeite eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Medizin, der Wissenschaft, der kommunalen Ebene und der Leistungsträger, aber auch der Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen Psychiatrie-Erfahrener, ein Eckpunktepapier als Grundlage für ein Landespsychiatriegesetz. „Erstmals werden in Baden-Württemberg durch ein Gesetz für psychisch kranke Menschen Hilfen und Schutzmaßnahmen zusammengeführt und gesetzlich geregelt werden.“
Sie mache sich stark für ein System der komplementären, ambulanten, teilstationären und stationären Versorgung, in dem die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Hilfesuchenden im Vordergrund stehen. Den Betroffenen müsse in jedem Krankheitsstadium die jeweils passende Hilfestellung angeboten werden, von der stationären Behandlung bis hin zur Behandlung zu Hause. „Unser Bestreben sollte es auch sein, ein System von psychosozialen Vorsorge- und Nachsorgemaßnahmen zu entwickeln, das die Betroffenen zu einem eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Leben in der Gemeinschaft befähigt. Anordnungen von Schutzmaßnahmen, insbesondere Unterbringungen, sollen dabei möglichst vermieden werden“, so die Ministerin.
Die niederschwelligen Angebote der sozialpsychiatrischen Dienste stellten insbesondere für chronisch psychisch Kranke häufig die einzige Möglichkeit dar, wieder ein Leben in der Gemeinschaft führen zu können. Insbesondere durch die nachgehenden Hilfen, etwa durch Hausbesuche, werde den Betroffenen ein Weg eröffnet, eine möglichst selbständige, bei Bedarf beschützte Lebensführung in gewohnter Umgebung zu erhalten. Hinzu komme, dass Hemmschwellen und Stigmatisierungen durch die Inanspruchnahme von niederschwelligen Hilfeangeboten abgebaut würden.
Ministerin Altpeter wies auch darauf hin, dass die Regelungen zur Zwangsmedikation derzeit in einem transparenten Verfahren überarbeitet werden. Zu der Expertenanhörung am 14. Mai über die Eckpunkte der künftigen Regelung sei die gesamte Landespresse eingeladen worden. Auf der Basis dieser Anhörung würden jetzt die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Novellierung des Unterbringungsgesetzes geschaffen, die eine Zwangsmedikation unter den vom Bundesverfassungsgericht dargelegten engen und strengen Voraussetzungen ermöglichen werde.
Quelle:
Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg