Sozialministerin Katrin Altpeter hat den Report „Kinderschutz und Frühe Hilfen“ vorgestellt. Die Zahl der vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren hat sich demnach seit 2005 mehr als verdoppelt auf 3.809 Fälle im Jahr 2013.
„Der Report bietet eine solide und verlässliche Datenbasis zur Kindeswohlgefährdung und stellt die im Land vorhandenen Instrumente und Maßnahmen im Bereich des Kinderschutzes zusammenfassend dar“, so die Ministerin.
Der Report, der im Auftrag des Sozialministeriums von der FamilienForschung im Statistischen Landesamt erstellt wurde, zeigt Altpeter zufolge, dass die Jugendämter immer mehr Kinder und Jugendliche wegen akuter Krisensituationen in Obhut nehmen müssen, um sie bei einer geeigneten Person oder Einrichtung vorläufig unterzubringen. Insgesamt hat sich demnach die Zahl der vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren seit 2005 mehr als verdoppelt, von 1.658 Fällen im Jahr 2005 auf 3.809 Fälle im Jahr 2013 (Tabelle Report Seite 15).
Etwa ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen wurde auf eigenen Wunsch in Obhut genommen. In 1.688 Fällen (44 Prozent) wurden die vorläufigen Schutzmaßnahmen durch soziale Dienste oder die Jugendämter, in 780 Fällen (20 Prozent) durch die Polizei veranlasst. Weitere 595 Fälle (16 Prozent) wurden durch Eltern, Bekannte, Ärztinnen und Ärzte, Lehrkräfte, Nachbarn oder Verwandte angeregt. Die vollständige oder teilweise Übertragung der elterlichen Sorge auf das Jugendamt oder einen Dritten als Vormund oder Pfleger können nur Familiengerichte anordnen, und zwar dann, wenn eine Gefahr für das Kindeswohl auf andere Weise nicht abgewendet werden kann. 2013 wurden in Baden-Württemberg 1.037 gerichtliche Maßnahmen zum Entzug der elterlichen Sorge ergriffen. Darunter waren 358 Kinder im Alter von unter sechs Jahren.
Hauptgrund für vorläufige Schutzmaßnahmen ist eine Überforderung der Eltern oder eines Elternteils, gefolgt von Beziehungsproblemen, Anzeichen von Misshandlung und Vernachlässigung.
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (Report Seite 11/12) wurden 2013 in Baden-Württemberg 253 (Vorjahr: 249) Fälle von Kindesmisshandlungen angezeigt und 1.330 (Vorjahr: 1.235) Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern erfasst.
Gefährdungseinschätzungen als neues Instrument
Bei knapp einem Drittel der Inobhutnahmen ging eine sogenannte Gefährdungseinschätzung (§ 8a Abs. 1 SGB VIII) voraus. Die Jugendämter müssen seit Januar 2012 (Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes) das Gefährdungsrisiko für junge Menschen einschätzen, wenn ihnen gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt werden. 2013 wurden solche Verfahren zur Kindeswohlgefährdung bei 9.861 Kindern und Jugendlichen im Land durchgeführt. In 14 Prozent aller Fälle, bei 1.361 Kindern und Jugendlichen, wurden eine akute Gefährdung festgestellt und entsprechende Hilfs- und Schutzmaßnahmen eingeleitet. Bei 807 jungen Menschen wurden Anzeichen für Vernachlässigung festgestellt, bei 427 Anzeichen für körperliche und bei 406 Anzeichen für seelische Misshandlungen (Schaubild 3 Report Seite 17).
Ministerin Altpeter: „Dieser Report macht deutlich, dass alle Beteiligten große Anstrengungen unternehmen müssen, um Gewalt gegen Kinder und Verwahrlosung zu verhindern. Frühe Hilfen sind das A und O zum Schutz unserer Kinder.“
Flächendeckende Kinderschutznetzwerke
Gemeinsam mit den Stadt- und Landkreisen setzt die Landesregierung auf präventive Kinderschutzmaßnahmen, um werdenden Eltern sowie Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern in belastenden Lebensumständen frühzeitig niedrigschwellige Beratung und Unterstützung anzubieten. Die Frühen Hilfen wurden in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg massiv ausgebaut.
Von zentraler Bedeutung sind dabei die inzwischen 58 Netzwerke für Frühe Hilfen und präventiven Kinderschutz in den Stadt- und Landkreisen. Diese Netzwerke, in denen unter der Federführung der 46 Jugendämter alle Akteurinnen und Akteure im Bereich der Frühen Hilfen und des Kinderschutzes zusammenwirken, sind im Land heute flächendeckend eingerichtet. Sie ermöglichen eine konstruktive und professionelle Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren wie der Kinder- und Jugendhilfe, den Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen, den Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz und den Einrichtungen der Frühförderung. Das Sozialministerium hat den Aufbau der Netzwerke bisher mit rund 490.000 Euro unterstützt.
Familienhebammen bieten Hilfe in schwierigen Lebenssituationen
Als besonders wirksamer Ansatz im Bereich der Frühen Hilfen hat sich der Einsatz von Familienhebammen und Familien-, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen erwiesen. Dabei handelt es sich um speziell fortgebildete Hebammen und Kinderkrankenschwestern mit zusätzlichen Qualifikationen insbesondere im Bereich der psycho-sozialen Kompetenzen. Vor allem die Familienhebammen kommen durch ihre aufsuchende Hebammentätigkeit im Rahmen der Schwangerschaftsbegleitung und der Geburtsnachsorge mit vielen werdenden Eltern oder Eltern mit Säuglingen in Kontakt.
Das Sozialministerium fördert die Fortbildung von Hebammen zu Familienhebammen und von Kinderkrankenpflegerinnen zu Familien-, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen sowie deren Einsatz mit 140.000 Euro im Jahr. Damit können jährlich rund 3.450 Einsatzstunden finanziert werden.
Unterstützung durch Bundesinitiative
Umrahmt wird der Ausbau des präventiven Kinderschutzes im Land durch den Bund, der den Auf- und Ausbau der Frühen Hilfen in den Ländern im Rahmen der Bundesinitiative Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen seit 2012 unterstützt. Die Umsetzung der Bundesinitiative wird in Baden-Württemberg von einer Landessteuerungsgruppe begleitet, in der alle maßgeblichen Akteurinnen und Akteure mitwirken. Im Rahmen der Bundesinitiative stehen Baden-Württemberg 2014 rund 5,3 Millionen Euro zur Verfügung.
Altpeter: „Der Report belegt, dass wir mit dem Ausbau des präventiven Kinderschutzes auf einem guten Weg sind. Dennoch wird es wohl immer auch Fälle geben, in denen Frühe Hilfen nicht ausreichen und weitergehende Hilfen auch außerhalb der Familie erforderlich sind oder Kinder von ihren Eltern getrennt werden müssen. Denn das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen und zu versorgen, findet seine Grenze dort, wo das Kindeswohl konkret gefährdet ist.“
Weitere Maßnahmen
Über die Frühen Hilfen hinaus unterstützt das Sozialministerium Altpeter zufolge zahlreiche weitere Maßnahmen zur Stärkung des Kinderschutzes. Dazu gehörten u.a. das Familienbildungsprogramm STÄRKE für Familien in besonderen Lebenssituationen, wofür das Sozialministerium jährlich 3,8 Millionen Euro bereitstellt, aber auch Projekte, bei denen Ehrenamtliche junge Familien begleiten und bei ihren Aufgaben unterstützen – vom Sozialministerium mit insgesamt rund 160.000 Euro im Jahr unterstützt – und nicht zuletzt auch die geplante Verankerung der Kinderrechte in der Landesverfassung.
Ministerin Altpeter: „Auch ein sehr gutes Hilfe- und Eingriffssystem kann keinen 100-prozentigen Schutz vor Misshandlung und Vernachlässigung gewährleisten. Das ist schwer zu ertragen, aber Realität. Umso wichtiger ist es, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Kindern ein gewaltfreies Aufwachsen zu ermöglichen.“