Schulgesetz

Zeitrahmen für die Novellierung des Schulgesetzes zum gemeinsamen Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen gem. Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention muss eingehalten werden

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Sehr geehrte Frau Ministerin,

in meiner Funktion als Landes-Behindertenbeauftragter bin ich bereits zum Schuljahresbeginn in großer Sorge. Anlass sind aktuelle Presseberichterstattungen zu ressortinternen Einsparvorschlägen gegenüber dem Herrn Finanzminister zur allgemeinen Haushaltskonsolidierung, denen auch die Inklusion zum Opfer fallen soll, sowie die mit der kommunalen Seite bislang nicht erreichte Verständigung in Finanzierungsfragen bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf inklusive Beschulung, wobei ein fortdauernder Dissens zwangsläufig eine zeitliche Verzögerung der Novellierung des Schulgesetztes zur Folge hätte.

Im Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien unter der Überschrift „Gleichberechtigte Teilhabe aller: Inklusion umsetzten“ eindeutig positioniert. Hier wird an Deutlichkeit nicht zu überbietend der politische Wille für einen überfälligen Paradig-menwechsel in unserem Land zum Ausdruck gebracht. Es wird bekräftigt, dass der Anspruch der Kinder mit Behinderung auf sonderpädagogische Förderung in der Regelschule gesetzlich verankert wird und die Eltern behinderter Kinder ein Wahlrecht erhalten werden. Um der unsäglichen Selektion ein Ende zu machen, soll „Artikel 24 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Schulbereich konsequent umgesetzt werden“ (vgl. Koalitionsvertrag 2011, S.7). Aus vielen Gesprächen und Begegnungen mit betroffenen Eltern und Pädagogen weiß ich, dass die an diese zentrale Weichenstellung geknüpften Erwartungen entsprechend hoch sind, für deren Enttäuschung ein nicht akzeptabler politischer Preis zu bezahlen wäre.

Sehr geehrte Frau Ministerin, derzeit befinden sich die Eltern mit ihren behinderten Kindern in einem rechtsfreien Raum, sie hängen buchstäblich in der Luft. Die Geschäftsstelle des Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen wird im Moment mit Anfragen verzweifelter Eltern geradezu überhäuft. Den Betroffenen bleibt oft nur der Rechtsweg und am Ende stehen sie als Verlierer da, das die Gerichte subjektive Ansprüche aus der UN-Behindertenrechtskonvention ohne erfolgte Umsetzung in Landesrecht grundsätzlich verneinen. Die Gerichte urteilen nach geltendem Recht, was leider bedeutet, dass Kinder keine Regelschulen besuchen können. Daher brauchen wir zwingend und wie geplant zum Schuljahr 2013/14 die schulgesetzliche Normierung eines verbindlichen Rechtsanspruchs, damit Inklusion in der Bildung und Erziehung kein Lippenbekenntnis bleibt.

Ich bin mir sicher, dass Ihnen die Novellierung des Schulgesetzes ebenso am Herzen liegt wie mir und Sie sich auch mit Blick auf die laufenden Einsparüberlegungen dafür einsetzen, damit die erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden. Daher bitte ich Sie sehr herzlich, die Umsetzung der schulischen Inklusion mit in die nicht disponible Prioritätenliste gegenüber dem Finanzministeriu m aufzunehmen. Einsparungen in diesem Bereich werden in jeder Hinsicht teuer zu bezahlen sein. Eine Verzögerung bei der Umsetzung der UN-Konvention käme einer politischen Katastrophe gleich, und das mit Sicherheit nicht nur für die betroffenen Familien.

Auch ich bin Realist genug um zu wissen, dass die Umsetzung der Inklusion an den Regelschulen nicht ohne die Kommunen als Schulträger zu stemmen ist. Mit der Finanzierung der Assistenzkräfte über die Eingliederungshilfe und baulicher Veränderungen kommt auf die Städte, Gemeinden und Landkreise ein nicht unerheblicher Kostenaufwand zu. Doch schon mit Blick auf den durch die allgemeine demografische Entwicklung ausgelösten Standortwettbewerb bekommt kommunale Daseinsvorsorge im Bildungsbereich zunehmend existenzielle Bedeutung. Es gilt aber auch, Fragen, Unsicherheiten und Ängste der Kommunen ernst zu nehmen. Dabei geht es insbesondere um die Klärung der Finanzierungstableaus und der Konnexität. Weil angeblich keine belastbaren Zahlen aus den Modellregionen vorliegen würden, drängen die kommunalen Spitzenverbände und der KVJS auf eine Verschiebung der Schulgesetznovelle – mit der Konsequenz, dass die gegenwärtige Hängepartie um mindestens ein weiteres Schuljahr verlängert wird – für mich eine Horrorvision.

Ich möchte Sie deshalb eingehend bitten, sehr geehrte Frau Ministerin, mit den kommunalen Landesverbänden sprichwörtlich in Klausur zu gehen. Die Widerstände gegen die Novellierung des Schulgesetzes müssen auf ein Minimum reduziert werden. Aus meiner Sicht sind hier zwei Aspekte für eine mögliche Klausur aufzugreifen:

1. Weiteres Daten- und Zahlenmaterial sammeln, um eine möglichst genaue Kostenaufstellung zu generieren: Wer ist wofür zuständig und wer zahlt was?

2. Gemeinsames Erarbeiten einer so genannten „Revisionsklausel“, die beispielsweise die Abgrenzung der Aufgaben pädagogischer Fachkräfte von den Assistenzkräften aufgreift. Nach einem festgelegten Zeitraum erfolgt gemeinsam eine Evaluation, um notwendige Ausgleiche vorzunehmen.

Unsere föderalen Strukturen zeichnen die kommunale Ebene als starke Säule unserer Demokratie aus. Im Geschäftsbericht des Gemeindetages 2009 - 2011 ist deutlich beschrieben, dass der Wunsch nach inklusiver Bildung zu respektieren ist (vgl. BWGZ. 20 I 2011, S. 782). Jetzt gilt es, den Befürchtungen einer Kostenexplosion argumentativ und sachlich entgegenzutreten und den überfälligen Wandel für eine inklusive Bildungslandschaft in Baden-Württemberg gemeinsam mit allen Beteiligten voranzutreiben.

Von daher erlaube ich mir nochmals den dringenden Appell, an dem vorgegebenen Zeitplan der Novellierung des Schulgesetzes unbedingt festzuhalten, so dass die Neuregelungen zum Schuljahr 2013/14 in Kraft treten können. Die grün-rote Landesregierung ist für eine Gesellschaft angetreten, die Teilhabe für alle ermöglicht. Partizipation steht und fällt mit den Zugangsmöglichkeiten, die geschaffen werden. Inklusion im Bildungsbereich ist das Fundament für ein gelungenes „Mittendrin statt außen vor“ in allen Lebensbereichen und damit wegweisend für die gesellschaftliche Teilhabe. Lassen Sie nicht zu, dass bei den Jüngsten und Schwächsten unserer Gesellschaft wichtige gesetzliche Regelungen einer zeitlichen und finanziellen Hürde zum Opfer fallen.

Mit freundlichen Grüßen
Gerd Weimer

Quelle:

Der Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen