Die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes über Maskenpflicht in Einrichtungen, die Barrierefreiheit medialer Angebote öffentlicher Stellen, die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes und der Landes-Aktionsplan standen auf der Tagesordnung.
Der Beirat des Landes für die Belange von Menschen mit Behinderungen hat in seiner Sitzung am 6. Oktober 2022 in Stuttgart unter der Leitung der Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Simone Fischer, darauf hingewiesen, dass bei den Neuregelungen des Infektionsschutzgesetzes des Bundes Menschen mit Behinderungen, die seit 1. Oktober 2022 gelten, erneut nicht ausreichend mitbedacht wurden.
Das Gesetz trifft für Menschen, die mit einer Behinderung in Einrichtungen leben oder in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen arbeiten, harte Maßnahmen. Es sieht eine strenge FFP2-Maskenpflicht vor. Diese müssen Menschen mit Behinderungen beständig bei der Ausführung ihrer Tätigkeit tragen. Genauso sieht es aus, wenn sie ihr Zimmer verlassen und die Gemeinschaftsräume, wie das Wohnzimmer oder die Küche, aufsuchen.
Simone Fischer sagt: „Dies ist unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatsphäre. Während das neue Gesetz beispielsweise regelt, dass im Flugzeug, wo Menschen willkürlich zusammentreffen, keine Maskenpflicht gilt, wird von behinderten Menschen verlangt, die Maske in ihrem Zuhause zu tragen, wo die Bewohnerinnen und Bewohner beständig zusammenleben. Menschen mit Behinderungen gehören nicht automatisch zur vulnerablen Gruppe, auch dann nicht, wenn sie in einer Werkstatt arbeiten oder in einer Einrichtung wohnen. Es benötigt unbedingt eine differenzierte Betrachtung. Es bleibt abzuwarten, ob hier das letzte Wort gesprochen ist.“
In seiner Sitzung beschäftigte sich der Beirat zudem mit der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Baden-Württemberg. Der Beirat, fordert dazu auf, dass die Verbesserungen, die das Bundesteilhabegesetz für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen vorsieht, jetzt bei den Menschen mit Behinderungen ankommen müssen. Nachdem die Stadt- und Landkreise als Träger der Eingliederungshilfe mit den Leistungserbringern im Jahr 2020 einen Landesrahmenvertrag gem. § 131 SGB IX geschlossen haben, wurde zunächst eine Übergangsvereinbarung zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Baden-Württemberg für die Jahre 2020 und 2021 abgeschlossen. Bereits 2021 wurden keine bedeutsamen Fortschritte erzielt, so dass sich eine weitere Übergangsregelung für die Jahre 2022 und 2023 angeschlossen hat. Zum 31. Dezember 2022 müssen nun für alle Einrichtungen der Eingliederungshilfe in Baden-Württemberg Aufforderungen zu Verhandlungen über die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen vorliegen. Denn bis spätestens 31.12.2023 sind die Einrichtungen, Angebote und Dienste auch tatsächlich auf das neue System umzustellen.
„Das heißt, es ist allerhöchste Zeit, vor Ort zu Verhandlungen aufzufordern bzw. die Aufforderungen anzunehmen und Vereinbarungen abzuschließen. Sie müssen personenzentriert im Geiste des Bundesteilhabegesetzes und auf Grundlage des Landesrahmenvertrages abgeschlossen werden. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen steht dabei im Mittelpunkt. Sie bauen darauf, dass die Anforderungen, die das Bundesteilhabegesetz stellt, damit es ihre Lebenssituation verbessert, vorangebracht und umgesetzt werden, damit sie ein anständiges Leben führen können. Sie erwarten rechtssichere Lösungen“, appellierte Simone Fischer.
Das Bundesteilhabegesetz schafft keine Sonderrechte für einzelne Gruppen, es konkretisiert die jedem Menschen zustehenden Rechte, um gleichberechtigt in der Gesellschaft zu leben. Dazu gehört, dass nicht nur die Grundbedürfnisse gestillt sind. Soziale Beziehungen, Unternehmungen, Wertschätzung, Selbstverwirklichung und individuelle Teilhabe gehören zu einem erfüllten Leben und persönlichen Wohlbefinden. Sie sind für jeden von uns von Bedeutung. In seiner Sitzung beschäftigte sich der Beirat auch mit der Verpflichtung zur medialen Barrierefreiheit öffentlicher Stellen in Baden-Württemberg. Diese sind gesetzlich gehalten, ihre Webseiten und mobilen Anwendungen barrierefrei anzubieten. Bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg wurde im Jahr 2020 eine Überwachungsstelle eingesetzt. Sie hat die Aufgabe übernommen, in regelmäßigen Abständen anhand eines standardisierten Verfahrens zu überprüfen, ob die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllt sind. Dimitrios Livadiotis, Leiter der Überwachungsstelle, berichtete in der Sitzung des Landes-Beirats, dass in den Jahren 2020/2021 und 2022 jeweils 209, ab 2023 jährlich 304 mediale Angebote öffentlicher Stellen geprüft werden. Bisher habe keine der von der Überwachungsstelle in den Fokus genommenen Webseiten oder mobile Anwendung alle Voraussetzungen erfüllt, um als barrierefrei bezeichnet zu werden. „Dieses Ergebnis kann nicht zufriedenstellen“, brachte es Simone Fischer auf den Punkt.
Der Beirat ruft dazu auf, bei der Digitalisierung unbedingt auf die Barrierefreiheit zu achten. Andernfalls würden schwerbehinderte und ältere Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg zwangsläufig von den Angeboten und Diensten ausgeschlossen. Alle öffentlichen Stellen müssten sich der gesetzlichen Verpflichtung stellen und die digitale Barrierefreiheit auf die Fahne schreiben. Jetzt bestehe die Chance, barrierefreie Anpassungen vorzunehmen und kostspielige Nachrüstungen zu vermeiden. Es sei zudem ein Merkmal von Qualität und Professionalität, wenn die Angebote allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sind.
Im Weiteren befasste sich der Beirat mit dem Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, der im Frühjahr 2022 evaluiert, auf Beschluss des Ministerrats seit Sommer überarbeitet und fortgeschrieben wird. Ein zentrales Element ist die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen im gesamten Prozess. Im November diesen Jahres werden die Zwischenergebnisse auf das Beteiligungsportal des Landes www.beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de gestellt. Dort können alle Bürgerinnen und Bürger mitdiskutieren und weitere Anregungen einbringen. Im Sommer 2023 sollen die finalen Ergebnisse vorliegen und beschlossen werden.
Im Zuge der Sitzung wurde die neue Webseite des Beirats präsentiert: Landes-Behindertenbeirat: Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg (baden-wuerttemberg.de). Alle stimmberechtigten Mitglieder mit unterschiedlichen Behinderungen sind mit Foto und ihrer Intention in Hinblick auf die Tätigkeit im Beirat vertreten. „Menschen mit Behinderungen sollen auf höchster landespolitischer Ebene zu Wort kommen. Ich fordere mehr politischen Dampf für eine inklusive Gesellschaft.“, so beispielsweise das Statement von Nora Welsch, der Kommunalen Beauftragten der Stadt Baden-Baden für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Cuma Ak vom Taubblindenverein Baden-Württemberg e.V.: „Menschen mit unsichtbarer Behinderung, zum Beispiel Menschen mit seelischen Problemen, leiden unter Barrieren wie Ausgrenzung, Diskriminierung und Stigmatisierung. Auch für sie muss es möglich sein, selbstbestimmt zu leben und an der Gesellschaft teilzuhaben.“ Silvan Schwarz vom Landesverband Kleinwüchsiger Menschen und ihre Familien Baden-Württemberg e.V. sagt: „Besonders wichtig ist es mir, die Themen Arbeit und Mobilität voranzubringen. Beides ist voneinander abgängig und Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben, Inklusion und die Teilhabe am sozialen Leben“.
Hintergrund
Der Landes-Beirat für die Belange von Menschen mit Behinderungen berät und unterstützt die Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen bei allen wesentlichen Fragen, die die Belange von Menschen mit Behinderungen berühren. Zusammensetzung, Aufgaben und Befugnisse des Landes-Beirats sind in § 16 L-BGG geregelt. Die Mitglieder des Landes-Beirats werden für die Dauer einer Legislaturperiode berufen, Vorsitzende ist die Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen.
Quelle:
Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen