Der baden-württembergische Landtag hat in seiner Sitzung am 24. Mai 2023 in zweiter Lesung das Landespflegekammergesetz verabschiedet. Mit der geplanten Gründung einer berufsständischen Vertretung aller Pflegefachkräfte im Land sollen diese mehr Selbstverantwortung bekommen.
Nach der Verbändeanhörung und Veröffentlichung auf dem Beteiligungsportal im Dezember 2022 und Januar 2023, wo der Gesetzentwurf überwiegend Zustimmung fand, kommt der Gesetzgebungsprozess nun zu seinem Ende. Dieser war bereits in der letzten Legislaturperiode begonnen worden, wurde jedoch pandemiebedingt im Herbst 2020 vorübergehend ruhend gestellt.
Ziel der Pflegekammer ist es, die Attraktivität des Berufsstands zu erhöhen und damit auch einen Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs zu leisten. Der Pflegekammer sollen schrittweise wichtige Aufgaben übertragen werden. Dazu gehören unter anderem die Wahrnehmung von beruflichen Belangen und die Förderung der Ausbildung. Auch gilt es, Qualitätsmaßnahmen vorzunehmen und bei der Prävention, der Förderung und dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung mitzuwirken. Perspektivisch soll die Pflegekammer die Aufgaben zur Weiterbildung und Fortbildung übernehmen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben sind die Fachkunde und Erfahrung aller Pflegefachkräfte aus allen Bereichen gefragt. Ziel ist es, den Pflegefachkräften eine starke berufliche Selbstbestimmung zu geben, wodurch sie ihr Berufsbild aktiv gestalten und weiterentwickeln können.
Eine Pflichtmitgliedschaft in der Pflegekammer besteht, wenn folgende drei Voraussetzungen vorliegen:
- Die Person ist Pflegefachkraft (durchgängige dreijährige Fachausbildung).
- Die Person übt den Beruf nicht nur vorübergehend aus.
- Sie übt den Beruf in Baden-Württemberg aus.
Eine freiwillige Mitgliedschaft ist auch möglich, zum Beispiel für Auszubildende, Pflegehelferinnen und Pflegehelfer sowie Hochschuldozierende im Bereich Pflege.
Durch die Mitgliedschaft aller Berufsangehörigen soll die Vertrauenswürdigkeit und die umfassende Sachkunde und Objektivität der Landespflegekammer institutionell gesichert und deren demokratische Legitimation und Wahrnehmung als unabhängige Interessensvertretung sichtbar gemacht werden. Im Vergleich zu einem eingetragenen Verein, der die Interessen seiner Mitglieder vertritt, ist eine Kammer eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die die berufspolitischen Belange aller Berufsangehörigen vertritt.
Eine wirksame Interessenvertretung der Pflegeberufe und ein entsprechendes Mitwirken an Entscheidungen im Gesundheitswesen erfordern die Einbindung der Berufsangehörigen in eine Kammer. Nur bei Erfassung aller Mitglieder ist auch eine sachgemäße Berufsaufsicht im Rahmen der Selbstverwaltung und die Übernahme der im vorliegenden Gesetz näher konkretisierten Aufgaben gewährleistet – insbesondere im Bereich der Fort- und Weiterbildung und der Qualitätssicherung. Die Landespflegekammer Baden-Württemberg kann für die Berufsangehörigen die ihr zugedachte Rolle nur einnehmen, wenn sie für alle Pflegekräfte ein Vertretungsmandat innehat. Ein freiwilliger Zusammenschluss der Pflegeberufe erreicht dieses Ziel nicht, da damit nicht eine vollständige Repräsentanz des Berufsstands gewährleistet ist und die Zusammensetzung vom Zufall abhinge.
Es ist von einem durchschnittlichen monatlichen Beitrag zwischen 5 und 9 Euro auszugehen. Die Mitgliedsbeiträge sollen nach Gehalt gestaffelt sein – bis zur Beitragsfreistellung. Als unabhängiges Selbstverwaltungsorgan muss sich die Pflegekammer so wie die bereits bestehenden Heilberufe-Kammern selbst finanzieren. Die Pflegekammer hat die Möglichkeit, im ersten Jahr ihres Bestehens einen pauschalen monatlichen Mitgliedsbeitrag von maximal 5 Euro zu erheben.
Die Landespflegekammer wird durch einen Gründungsausschuss vorbereitet, der sich aus Pflegefachkräften aus den verschiedenen Beschäftigungsfeldern auf Vorschlag der Berufsverbände im Land zusammensetzt. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration bestellt spätestens sechs Wochen nach Inkrafttreten des Landespflegekammergesetzes die Mitglieder des Gründungsausschusses. Der Gründungsausschuss wird voraussichtlich im Sommer 2023 seine Arbeit aufnehmen. Er hat 18 Monate Zeit, die Landespflegekammer Baden-Württemberg vorzubereiten. Zu den wichtigsten Aufgaben des Gründungsausschusses gehören die Registrierung der Pflichtmitglieder und die Vorbereitung zur Wahl der ersten Vertreterversammlung. Die achtzehnmonatige Errichtungsphase wird mit rund 1,8 Millionen Euro im Jahr 2023 und rund 2,1 Millionen Euro im Jahr 2024 durch das Land finanziert. Nach Errichtung der Landespflegekammer erfolgt die Finanzierung der Pflegekammer über die Beiträge der Kammermitglieder.
Das Registrierungsverfahren wird wie folgt umgesetzt: Die Arbeitgeber der Pflegefachkräfte sind verpflichtet, die Daten (Vor- und Nachname, frühere Namen, Geburtsdatum, Anschrift, Berufsbezeichnung und, wenn vorhanden, E-Mail- Adresse) der bei ihnen beschäftigten Pflegefachkräfte an den Gründungsausschuss zu übermitteln. Der Gründungsausschuss kontaktiert auf Grundlage dieser Daten die Pflegefachkräfte und informiert sie über die Pflichtmitgliedschaft in der Landespflegekammer Baden-Württemberg bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (siehe oben bei der Frage, wer Mitglied der Pflegekammer ist). Der Ausschuss informiert darüber, dass er die Registrierung anhand der vom Arbeitgeber übermittelten Daten durchführen werde – es sei denn, die Pflegefachkraft lege innerhalb von 6 Wochen postalisch oder digital Einspruch gegen die Registrierung ein. Die Einwendung muss einer Person eindeutig zuordenbar sein; eine ausreichende Dateneingabe für die Einwendung besteht aus Vornamen, Namen, Geburtsdatum und Einwendungsgrund.
Der Nachweis der Berechtigung zur Ausübung des Berufs (Berufsurkunde) kann vom Kammermitglied innerhalb eines Jahres nach Ablauf der Einwendungsfrist in Kopie nachgereicht werden. In dieser Zeit gilt das Pflichtmitglied als vollständig registriert.
Um der Landespflegekammer Baden-Württemberg von Beginn an eine starke demokratisch legitimierte Grundlage zu geben, sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Wahl zur ersten Vertreterversammlung nur stattfinden darf, wenn mindestens 60 Prozent der zukünftigen Pflichtmitglieder registriert wurden. Für das 60-Prozent-Quorum zählen nur Registrierungen, bei denen keine Einwendung erhoben wurde (siehe oben bei der Frage zum Registrierungsverfahren).
Das Registrierungsverfahren wird vom noch einzuberufenden Gründungsausschuss durchgeführt. Bemessungsgrundlage ist die dann aktuelle Pflege- und Krankenhausstatistik des Statistischen Landesamtes. Danach gibt es in Baden-Württemberg rund 110.000 Personen, die zu registrieren sind. Wird dieses Errichtungsquorum von 60 Prozent, also rund 66.000 registrierte Personen, nicht erreicht, weil mehr als 40 Prozent der Pflichtmitglieder eine Einwendung innerhalb der Einwendungsfrist erhoben haben, wird keine Pflegekammer errichtet und der Gründungsausschuss aufgelöst.
Wenn das Errichtungsquorum von 60 Prozent erreicht wird, wird die Wahl zur ersten Vertreterversammlung der Kammer (Versammlung von gewählten Delegierten) durchgeführt. Mit dem erstmaligen Zusammentreten der Vertreterversammlung wird die Pflegekammer gegründet (und der Gründungsausschuss löst sich auf). Dies soll dem Gesetzentwurf nach voraussichtlich Ende 2024 der Fall sein.
Bis zum 1. Februar 2023 hatten 56 Verbände und öffentliche Stellen die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Gesetzentwurf zum Landespflegekammergesetz. Auf dem Beteiligungsportal Baden-Württemberg konnten ebenfalls bis zum 1. Februar 2023 Kommentare abgegeben werden. 71 Prozent der Kommentare beinhalteten zustimmende Äußerungen. Angeregt wurde insbesondere die Konkretisierung des Registrierungsverfahrens, was im aktuellen Gesetzentwurf und der Gesetzesbegründung umfassend umgesetzt wurde. Am Errichtungsquorum in Höhe von 60 Prozent wurde festgehalten. Durch diese Errichtungsquote soll eine hohe Legitimität der ersten Vertreterversammlung gewährleistet werden.
Bisherige Schritte
Das Vorhaben der Errichtung einer Pflegekammer in Baden-Württemberg geht zurück auf die Enquetekommission Pflege des Landtags Baden-Württemberg. Sie empfahl der Landesregierung im Jahr 2016 bei entsprechender Zustimmung unter den Pflegekräften eine Landespflegekammer in Baden-Württemberg zu errichten. Bei der Befragung im Jahr 2018 sprachen sich 68 Prozent der teilnehmenden Pflegekräfte und Auszubildenden für die Errichtung einer Pflegekammer aus.
Dem Wunsch der Mehrzahl der Teilnehmenden an der Befragung entsprechend wurde eine Änderung des Heilberufe-Kammergesetzes vorbereitet und im Frühjahr 2020 vorgelegt.
Auf Grund der Corona-Pandemie wurde der Gesetzgebungs- und Gründungsprozess im Herbst 2020 jedoch ruhend gestellt. Mit der Unterbrechung sollte das Ziel verfolgt werden, eine angemessene Phase der Einführung mit breiter Unterstützung durch Regierung und Parlament vorzuschalten und eine fachlich gute Begleitung sicherzustellen.
Nunmehr soll der Vorbereitungs- und Gründungsprozess – auch entsprechend der Aufforderung aus dem Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode (2021 bis 2026) – wieder aufgenommen und mit dem neuen Entwurf eines eigenständigen Gesetzes zur Errichtung einer Landespflegekammer in Baden-Württemberg umgesetzt werden.
Berufliche Vertretung gegenüber Politik und Gesellschaft
Mit der Gründung einer Landespflegekammer wird das Ziel verfolgt, die Attraktivität des Berufsstandes zu erhöhen und damit auch einen Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs zu leisten. Gleichzeitig soll die Qualität der pflegerischen Leistungen im Land durch die selbstbestimmte Gestaltung der Fort- und Weiterbildung weiter verbessert werden. Die Landespflegekammer dient der beruflichen Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder gegenüber Politik und Gesellschaft. Durch eine schrittweise Übertragung von Kompetenzen auf die Landespflegekammer erhalten die Pflegefachkräfte eine größere berufliche Selbstbestimmung. Sie können ihr Berufsbild aktiv gestalten und weiterentwickeln.
Durch die Gleichbehandlung mit den bereits bestehenden Heilberufe-Kammern (für Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Apothekerinnen und Apotheker sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten) wird die gewünschte Augenhöhe der Pflegefachberufe mit den approbierten (humanmedizinischen) Heilberufen hergestellt.