Auch in einem reichen Land wie Deutschland und hier in Baden-Württemberg ist Armut Realität. Wer arm ist, kann an vielem nicht teilhaben. Armut ist ein Mangel an Teilhabe- und Verwirklichungschancen.
Um Armut erfolgreich zu bekämpfen beziehungsweise zu verhindern, ist es wichtig, für die verschiedenen Betroffenengruppen jeweils passgenaue, nicht stigmatisierende und gut erreichbare Unterstützungsangebote zu entwickeln. Dafür braucht es eine aussagekräftige Datengrundlage. Das Land führt daher eine Armutsberichterstattung mit fünf Modulen durch (Flyer für einen schnellen Überblick). Für die Umsetzung des Konzepts wurde die FamilienForschung im Statistischen Landesamt beauftragt.
Modul 1: Gesellschaftsmonitoring BW
In Baden-Württemberg ist ein Anteil von 15,4 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet (aktuellster Datenstand: 2023, Landesmedian). Das heißt, grob gesagt, dass sie und ihr Haushalt im Monat nur höchstens 60 Prozent eines mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Im Jahr 2023 waren das zum Beispiel 1.309 Euro pro Monat bei einem Einpersonenhaushalt. Es handelt sich dabei um eine europaweit anerkannte Definition von Armut und Armutsgefährdung.
Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg weisen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ein überdurchschnittlich hohes Armutsrisiko auf. Im Jahr 2023 waren 18,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Baden-Württemberg armutsgefährdet.
Beim Gesellschaftsmonitoring BW werden solche statistischen Informationen zu Armut und Reichtum jährlich fortgeschrieben. Die Fortschreibung geht vom Ersten Armuts- und Reichtumsbericht Baden-Württemberg 2015 aus. Einmal jährlich werden Basisinformationen als Zusammenschau dazu veröffentlicht.
Modul 2: Kurzanalysen
Kurzanalysen bieten die Möglichkeit einer kurzen vertiefenden Analyse ausgewählter Ergebnisse und Entwicklungen, die sich im Modul 1 „Gesellschaftsmonitoring BW“ zeigen.
Bisher sind folgende Kurzanalysen erschienen:
Kurzanalyse 1-2025: Kinderarmut in Baden-Württemberg: Ist die Kinderarmut in Baden-Württemberg seit 2021 zurückgegangen? (PDF)Kurzanalyse 1-2024: Frauenarmut in Baden-Württemberg: Einkommen und Verdienstunterschiede im Fokus (PDF)Kurzanalyse 1-2023: Arm trotz Erwerbstätigkeit: Ausmaß und Entwicklung von ‚In Work Poverty‘ in Baden-Württemberg (PDF)Kurzanalyse 1-2022: Anhaltende Teuerung der Lebensmittel- und Energiepreise: Wer ist besonders betroffen in Baden-Württemberg? (PDF)
Modul 3: Gesellschaftsreport BW zu Armut und Reichtum
Ein Thema pro Jahr aus dem Bereich Armut und Reichtum wird als Gesellschaftsreport BW sehr praxisnah bearbeitet. Dabei wird eine sozialwissenschaftliche Datenanalyse mit Good Practice ergänzt und es werden Schlussfolgerungen für die Praxis gezogen. Die Ergebnisse werden vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aufgegriffen und deren Umsetzung in der Regel im Rahmen eines Förderaufrufs zur Armutsbekämpfung und Armutsprävention angeregt.
Bisher gibt es folgende Gesellschaftsreports BW und daran ansetzende Projektförderungen:
Der GesellschaftsReport „Überschuldung junger Menschen in Baden-Württemberg“ beleuchtet die Überschuldungssituation unter 30-Jähriger; diese gestaltet sich strukturell anders als die Überschuldungssituation älterer Personen. Die finanziellen Verbindlichkeiten junger Menschen verteilen sich in der Tendenz auf eine größere Anzahl von Institutionen, wobei die durchschnittliche Schuldenhöhe geringer ist. Junge Menschen haben häufig offene Verbindlichkeiten bei Telekommunikationsunternehmen, öffentlichen Einrichtungen, Gewerbetreibenden und Versandhäusern. Laut Überschuldungsstatistik waren 12,8 Prozent der ratsuchenden Personen in Schuldnerberatungsstellen aus Baden-Württemberg unter 30 Jahre alt.
Die Lebensphasen Jugend und junges Erwachsenenalter sind geprägt von Statusübergängen, die zur Ablösung von den Eltern beitragen. Mit diesen Ablösungsprozessen gehen verstärkt finanzielle Verpflichtungen und Konsumausgaben einher. Zugleich sind Einkommen und finanzielle Ressourcen oftmals gering. In diesen Fällen können Kredite, Ratenkäufe oder Zahlungsaufschübe (zum Beispiel Buy now, pay later) von jungen Erwachsenen unkompliziert genutzt werden, um ihre Handlungsfähigkeit (wieder-)herzustellen sowie Zugehörigkeit und gesellschaftliche Teilhabe kurzfristig zu ermöglichen.
Von hoher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Prävention von Überschuldung junger Menschen. Es ist wichtig, die Präventionsangebote möglichst nah an die Übergänge zu koppeln. Darüber hinaus bieten die Sensibilisierung von Fachkräften und Eltern sowie offene Sprechstunden Möglichkeiten, bereits vor oder bei Einsetzen kritischer Verschuldung zu handeln. Auf Basis des GesellschaftsReports wurde im Juli ein Förderaufruf des Sozialministeriums veröffentlicht.
Der GesellschaftsReport „Soziale Isolation und Einsamkeit armutsgefährdeter Menschen in Baden-Württemberg“ beleuchtet, inwieweit Armutsgefährdung zu einem häufigeren Auftreten von Einsamkeit und sozialer Isolation beiträgt und welche Gruppen armutsgefährdeter Menschen besonders betroffen sind. Darüber hinaus werden für ein besseres Verständnis weitere mögliche Einflussfaktoren auf Einsamkeit und soziale Isolation untersucht, unter anderem die Gesundheit, das soziale Umfeld, der Arbeitsstatus, Freizeitaktivitäten oder wahrgenommene Geringschätzung im Alltag.
Der GesellschaftsReport zeigt, es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Armut, Gesundheit sowie Einsamkeit oder sozialer Isolation. Die betroffenen Personen brechen häufig aus Scham Kontakte zu ihrem sozialen Netzwerk ab. Oft entwickelt sich zudem das Empfinden gesellschaftlich abgehängt zu sein. Es besteht auch die Gefahr von schwindendem sozialem Zusammenhalt und einer niedriger werdenden Zustimmung zu den Werten unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Die geförderten 24 Projekte in insgesamt 16 Stadt- und Landkreisen (PDF) bieten von November 2024 bis Februar 2026 auf die verschiedensten Arten Möglichkeiten hierfür. Neben neu geschaffenen oder verbesserten Begegnungsorten, werden auch gemeinsame Veranstaltungen, Unternehmungen, Kurse und Beratungsangebote unterstützt. Es gibt sportliche, kulturelle, kreative, politische und kulinarische Angebote. Allen Angeboten ist gemein, dass der Zugang zu den einzelnen Angeboten niedrigschwellig und für die Teilnehmenden kostenlos ist. Die verschiedenen Projekte werden von Kommunen, Kirchen, Vereinen und andere Organisationen der Zivilgesellschaft angeboten.
Der GesellschaftsReport „Armut als Ernährungsrisiko in Baden-Württemberg“ beleuchtet das Ausmaß von Ernährungsarmut in Baden-Württemberg und geht der Frage nach, inwiefern Einkommensarmut ein Ernährungsrisiko darstellt. Bei Ernährungsarmut wird unterschieden zwischen materieller und sozialer Ernährungsarmut.
Materielle Ernährungsarmut liegt vor, wenn Menschen ihren Nahrungsmittelbedarf quantitativ nicht decken oder die verfügbaren Lebensmittel nicht ernährungsphysiologischen und hygienischen Standards entsprechen und Menschen so ihre Gesundheit gefährden. So konnte sich ein Zehntel der Bevölkerung in Baden-Württemberg im Jahr 2021 nicht jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Geflügel oder Fisch oder eine hochwertige vegetarische Mahlzeit leisten. Von sozialer Ernährungsarmut spricht man, wenn Menschen angesichts der wichtigen sozialen, kulturellen, psychischen, ökonomischen und zeitlichen Funktionen von Ernährung, nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften teilnehmen können, die mit Mahlzeiten verbunden sind. Diese beiden Formen von Ernährungsarmut stehen in direktem Zusammenhang. Der Fokus des Reports liegt auf den Auswirkungen materieller Ernährungsarmut auf ernährungsbezogene soziale Teilhabe (soziale Ernährungsarmut) und Gesundheit.
Es besteht ein hoher Bedarf im Land, die sozialen Folgen von Ernährungsarmut zu lindern. Mit insgesamt 24 Projekten (PDF), die auf 17 der 44 Kreise im Land verteilt waren, erhielten Menschen mit Armutserfahrung von Ende 2023 bis Anfang 2025 die Möglichkeit gemeinsam zu essen, zu kochen, ins Gespräch zu kommen und etwas über Möglichkeiten einer gesunden Ernährung zu erfahren. 10 Projekte davon wurden bis Dezember 2026 verlängert. Weitere Projekte davon laufen nach Ende der Förderung ebenfalls weiter.
Der GesellschaftsReport „Überschuldung von Familien in Baden-Württemberg – Analyse und Ansätze zur Verbesserung der Schuldnerberatung“ beleuchtet anhand von statistischen Daten das Ausmaß, die Ursachen sowie Folgen der Überschuldung von Familien in Baden-Württemberg. Er stellt insbesondere anhand von Interviews mit Schuldnerberaterinnen und -beratern heraus, mit welchen Ansatzpunkten sich die Beratung betroffener Familien verbessern lässt.
Die Forscherinnen und Forscher der FamilienForschung Baden-Württemberg stellen in dem Bericht heraus, dass es hierbei besonders darauf ankommt,
- mit systemischen Beratungsansätzen alle Familienmitglieder zu berücksichtigen,
- dass sich die Beraterinnen und Berater spezifische Kenntnisse zu Leistungsansprüchen von Familien sowie zu Unterhaltsverpflichtungen aneignen,
- soziale Schuldnerberatung an Orten anzubieten, an denen Eltern ohnehin sind, etwa in Familien- und Quartierszentren, an Schulen und Kitas sowie auch Möglichkeiten der telefonischen und digitalen Beratung zu schaffen.
Neben der Reaktion auf Überschuldung ist es wichtig vorzubeugen, damit eine Überschuldung frühzeitig erkannt wird und erste Hilfestellungen gegeben werden können. Hierfür bietet es sich an, dass bestehende Beratungsstellen
- die Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit ausbauen,
- mit der Kinder- und Jugendhilfe, mit Schulen und Kindertagesstätten, aber auch mit Freizeiteinrichtungen und Sportvereinen zusammenarbeiten, um gute, niedrigschwellige Zugänge zu Familien zu schaffen,
- Fachkräfte im Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitsbereich schulen, dass sie für Gefährdungslagen sensibel sind und als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren den Weg zur Schuldnerberatung bahnen können.
Auf Basis des Gesellschaftsreports 2/2022 „Ansätze zur Verbesserung der Beratung überschuldeter Familien und der Prävention der Überschuldung von Familien“ wurden in den Jahren 2022 und 2023 zwei Förderaufrufe des Ministeriums veröffentlicht.
In den Jahren 2022 bis ins Frühjahr 2025 wurden insgesamt 23 Pilotprojekte in ganz Baden-Württemberg mit fast 1,4 Millionen Euro an Landesmitteln unterstützt. Es konnten in der Fläche Projektideen verwirklicht werden zur Erprobung davon, wie eine zielgerichtete Hilfe für Familie gelingen kann. Es ging im Kern darum, die Beratungsmöglichkeiten für Familien in der bestehenden sozialen Schuldnerberatung auszubauen und verschuldete Familien möglichst früh zu erreichen. So soll Verschuldung verhindert und insbesondere die Folgen für Kinder und Jugendliche abgewendet werden.
In einem abschließenden Vernetzungstreffen haben die Projektverantwortlichen Gelingensfaktoren für die Beratung von überschuldeten Familien erarbeitet. Einige Projekte vor Ort können die Arbeit auf einer anderen Finanzierungsbasis fortsetzen.
Regelmäßige soziale Kontakte wirken sich positiv auf die politische und gesellschaftliche Teilhabe von armutsgefährdeten Menschen aus. Zu diesem Ergebnis kommt der zweite GesellschaftsReport BW des Jahres 2019 „Politische und gesellschaftliche Teilhabe von Armutsgefährdeten“.
Beispiele aus der Praxis zeigen, welche Rolle Vernetzungsmöglichkeiten spielen, um sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen.
Vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Gesellschaftsreports wurde der Förderaufruf „Politische und gesellschaftliche Teilhabechancen trotz Armutsgefährdung“ veröffentlicht. Es wurden von 2019 bis Mitte 2021 elf Projekte in Stuttgart, Mannheim, Göppingen, Rottweil und im Rhein-Neckar-Kreis (PDF) durchgeführt. Diese befassen sich mit Angeboten aus den Bereichen Politik und Kultur, bieten Begegnungsräume oder fördern die Bildung von Netzwerken.
In der Broschüre „Strategien gegen Armut – Nachhaltigkeit, Verstetigung und Good Practice" (PDF) werden die Projekte aus dem Jahr 2019 mithilfe von Steckbriefen vorgestellt. Hierbei wurde auf die Projektkonzeption, die Projektziele, die Zielgruppenansprache, besondere Aspekte der Teilhabestärkung und die Erfahrungen an den Projektstandorten eingegangen.
Damit zukünftige Projekte auf diese Ergebnisse aufbauen können, hat das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration in den Jahren 2021 und 2022 mit dem Förderaufruf „Impulse Teilhabeförderung“ weitere Mittel des Landeshaushalts zur Verfügung gestellt:
2021: Liste der neun geförderten Projekte im Land (PDF)
2022: Liste der acht geförderten Projekte im Land (PDF)
Die Projekte bearbeiten die folgenden Fragestellungen:
- Wie können Austausch und Vernetzung von Menschen mit Armutserfahrung untereinander und zwischen Menschen mit und/ oder ohne Armutserfahrung zur Förderung von sozialer Teilhabe beitragen und welche Angebote sind dafür erforderlich und hilfreich?
- Wie können durch Ansätze wie Empowerment, Partizipation, Selbstorganisation und Hilfe zur Selbsthilfe die Selbstwirksamkeit und gesellschaftliche Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrung gefördert werden? Welche Rahmenbedingungen müssen dafür zur Verfügung stehen?
- Welche Bedeutung haben aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen für die Lebenslage von Menschen mit Armutserfahrungen? Woran muss gearbeitet werden, damit dadurch soziale Ungleichheit nicht verschärft und soziale Gerechtigkeit geschaffen wird?
- Welche Möglichkeiten bestehen, durch niedrigschwellige, wohnortnahe, quartiersbezogene, sozialraumorientierte Angebote die gesellschaftliche Integration von Menschen mit Armutserfahrung zu verbessern?
Ziel eines 2023 veröffentlichten Förderaufrufs „Maßnahmen der aufsuchenden politischen Bildung für Menschen mit Armutserfahrung“ ist es daran ansetzend, Menschen mit Armutserfahrung zu empowern, sich als Sprechende in eigener Sache wieder am politischen Dialog zu beteiligen. In acht Projekten (PDF), die das Sozialministerium von Ende 2023 bis Anfang 2026 fördert, sollen Menschen mit Armutserfahrung daher Wege aufgezeigt werden, wie sie sich in politische Entscheidungsprozesse einbringen und zu Themen austauschen können, die sie ganz konkret im Alltag beschäftigen, und wie sie verschwörungstheoretischen und extremistischen Weltanschauungen entgegenwirken können.
Modul 4: Berichte zur gesellschaftlichen Teilhabe
Es werden auch umfangreichere Berichte zu aktuellen Schwerpunktthemen aus dem Bereich Armut und Reichtum erstellt. Die Berichte beinhalten eine wissenschaftliche Analyse (1. Teil), ergänzt mit Porträts von Menschen mit Armutserfahrung, zum Beispiel Interviews, und jeweils aus der Analyse abgeleitete Handlungsempfehlungen von Vertretungen des Landesbeirats für Armutsbekämpfung und Prävention (2. Teil) sowie einen Beitrag des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration (3. Teil).
Bisher sind folgende Berichte zur gesellschaftlichen Teilhabe erschienen:
Modul 5: Fachtag Armut und Teilhabe in Baden-Württemberg
Beim jährlichen Fachtag handelt es sich um eine repräsentative Plattform, um Ergebnisse aus der Berichterstattung und den Fördermaßnahmen des Landes mit der Öffentlichkeit zu diskutieren sowie um Menschen mit Armutserfahrung in diese Prozesse einzubeziehen.
Auf der Website Starke Kinder chancenreich finden Sie die Dokumentation des Zweiten Fachtags Armut und Teilhabe am 3. Juli 2024.