Wer keine Wohnung hat oder von Wohnungslosigkeit bedroht ist, befindet sich in einer Notlage. Oft fehlt das soziale Umfeld, das dem Betroffenen unterstützend zur Seite steht. Deshalb ist es wichtig, die Hilfsangebote in Baden-Württemberg weiter auszubauen.
Lange andauernde Wohnungslosigkeit führt zu gesellschaftlicher Ausgrenzung und Stigmatisierung. Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe ermöglichen den ersten Schritt zurück in ein normales Leben.
Bundesweit wird seit 2022 jährlich eine statistische Erfassung wohnungsloser Menschen durchgeführt. Dabei können allerdings nur diejenigen verlässlich gezählt werden, die in Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe untergebracht sind. Bundesweit waren es im Januar 2024 rund 439.465 Personen, davon rund 92.675 in Baden-Württemberg. Fast ein Drittel der Wohnungslosen war in Baden-Württemberg unter 18 Jahre alt (32,7 Prozent). Insbesondere Kinder und Jugendliche können häufig nicht mehr wie gewohnt am gesellschaftlichen Leben teilhaben, wenn ihre Familie wohnungslos wird oder davon bedroht ist.
Kommunale Aufgabe
Für die Wohnungsnotfallhilfe in Baden-Württemberg sind die Kommunen zuständig. Sie werden auf zwei Arten tätig:
- Wohnungslosigkeit kann durch äußere Umstände, wie zum Beispiel Brandschaden, Trennung, Gewalt und Ähnlichem begründet sein. In diesem Fall werden die Ortpolizeibehörden der Städte und Gemeinden im Rahmen der polizeirechtlichen/ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr (§§ 1, 3 Polizeigesetz) tätig.
- Wenn bei einer Person besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, also zum Beispiel bei Wohnungsverlust aufgrund von fehlendem Einkommen oder psychischer Erkrankung, hat sie einen Rechtsanspruch auf sozialhilferechtliche Wohnungsnotfallhilfe (§§ 67 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII). Hierfür werden die Sozialämter der Stadt- und Landkreise tätig.
Investive Förderung durch das Land
Als freiwillige Leistung fördert das Land bauliche Investitionen in der sozialhilferechtlichen Wohnungsnotfallhilfe im Rahmen eines Investitionsförderprogramms. Zu den förderfähigen Einrichtungen gehören Fachberatungsstellen, Tagesstätten, Aufnahmehäuser und Wohnangebote, in denen wohnungslose Menschen Hilfe und Beratung erhalten.
Hierfür stehen Mittel des Kommunalen Investitionsfonds zur Verfügung. In den vergangenen Jahren gab es bereits Sonderprogramme für wohnungslose Frauen und junge Wohnungslose. Der Ausbau dieser Angebote hat auch weiterhin eine hohe Bedeutung.
Fachliche Weiterentwicklungen der Wohnungsnotfallhilfe
Ausgehend von der Studie „Wohnungslosigkeit in Baden-Württemberg. Untersuchung zu Umfang, Struktur und Hilfen für Menschen in Wohnungsnotlagen“ (PDF), deren Ergebnisse Ende November 2015 veröffentlicht wurden, hat die Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg unter Mitwirkung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die ein landesweites Fachkonzept für die Weiterentwicklung der Wohnungsnotfallhilfe im Land entwickeln soll. Das Fachkonzept soll die Ergebnisse der Studie aufgreifen und für unterschiedliche spezifische Bedarfe Hinweise geben und Handlungsempfehlungen formulieren. Daraus sind mehrere Stellungnahmen unter anderem für die ordnungsrechtliche Unterbringung, Familien in Wohnungslosigkeit oder junge Erwachsene Wohnungslose entstanden, die auf der Website des Kommunalverbands für Jugend und Soziales (KVJS) veröffentlicht sind.
Zentrale Fachstellen zur Wohnungssicherung
Menschen mit Armutserfahrung haben nicht die gleichen Chancen eine Wohnung zu mieten. Dies hat unterschiedliche Gründe, zum Beispiel begrenzte finanzielle Ressourcen, bestehende Arbeitslosigkeit aber auch gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund der sozialen Situation.
Es ist schwieriger eine neue oder überhaupt eine Wohnung zu finden als ein bestehendes Mietverhältnis zu erhalten. Es muss alles dafür getan werden, den Wohnungsverlust zu vermeiden. Deshalb soll das präventive System zur Verhinderung von Wohnungsverlusten auf- und ausgebaut werden.
Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration fördert von November 2024 bis Februar 2026 fünf Standorte mit der Erprobung einer zentralen Fachstelle zur Wohnungssicherung, deren Tätigkeit über die kommunalen Pflichtaufgaben hinausgeht.
Ansatz Housing-First in Baden-Württemberg
Von 2024 bis 2026 wird in Baden-Württemberg der Housing-First-Ansatz mit sechs Modellprojekten (PDF) erprobt. Die Projektförderung erfolgt in Kooperation mit der Vector Stiftung. Ziel ist es, Personen in verfestigter Wohnungslosigkeit und mit komplexen Problemlagen in unbefristete Mietverhältnisse zu vermitteln und von dort aus auf Grundlage eines Hilfeleistungskonzepts weiter zu begleiten. Die Modellprojekte sollen in ein kommunales Gesamtkonzept zur Überwindung der Wohnungslosigkeit eingebunden werden. Während der Laufzeit der Projekte finden Vernetzungstreffen statt, die den Erfahrungsaustausch zwischen den Modellprojekten anregen und so den Projekterfolg fördern sollen.
Housing First hat seine Ursprünge in den USA und wird bereits in Finnland, Österreich und anderen europäischen Ländern erfolgreich umgesetzt. In Deutschland hatte Ende 2018 Berlin als erstes Land zwei Modellprojekte „Housing First“ eingerichtet, die wissenschaftlich begleitet wurden. Seit 2022 gibt es auch in Stuttgart modellhafte Anstrengungen, den Housing First-Ansatz umzusetzen.
Bekämpfung und Prävention der Wohnungslosigkeit von Familien
Wohnungslosigkeit trifft Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, darunter auch Familien mit Kindern. Hohe Preise für Wohnen, Lebensmittel und Energie haben die Situation vielfach verschärft. Gerade Kinder und Jugendliche brauchen jedoch Rückzugsorte als Raum zum Lernen und Spielen, damit sie sich körperlich und seelisch gesund entwickeln können. Die negativen Auswirkungen von Wohnungslosigkeit spüren Kinder oft noch ihr ganzes Leben. Die Förderung des Landes ist deshalb wichtig, da sie vielen Betroffenen den ersten Schritt zurück in die Normalität ermöglicht.
Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration fördert daher im Zeitraum von 2021 bis 2024 insgesamt 21 Projekte im Land, die mithilfe von zielgenauen, niedrigschwelligen und nachhaltigen Maßnahmen dazu beizutragen, dass es gar nicht zur Wohnungslosigkeit von Familien kommt oder dass im Falle von Wohnungslosigkeit die Unterstützung von Familien für ein gutes und gesundes Aufwachsen ihrer Kinder verbessert und die Wohnungslosigkeit der Familie schnell überwunden werden. Hierbei wurden beispielsweise Lernhilfen und Freizeitangebote für Kinder organisiert, junge Menschen und Familien die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind, dabei unterstützt, ihre Wohnsituation zu stabilisieren oder zum Umgang mit Geld geschult.
Die Projekte wurden von der Hochschule Esslingen wissenschaftlich begleitet, mit dem Ziel eine Bilanzierung des Förderprogramms vorzunehmen, vertiefte Erkenntnisse zur Lebenssituation von Familien in Wohnungslosigkeit zu gewinnen und Impulse für andere Kommunen zu setzen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung wurden im Abschlussbericht (PDF) dokumentiert. Es ist auch eine Informationsbroschüre (PDF) entstanden, mit der Informationen und Empfehlungen in kompakter Form zur Verfügung gestellt werden.
Verbesserung der medizinischen Versorgung Wohnungsloser
Für wohnungslose Menschen gibt es oft Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Auch wenn ein Großteil der Betroffenen eigentlich über einen Krankenversicherungsschutz verfügt, so scheitert der Zugang bisher oft daran beziehungsweise wird dadurch deutlich erschwert, dass sich die betroffenen Menschen oft im Unklaren über ihren Versicherungsstatus sind, Kontaktängste zu Behörden (Krankenkassen, Sozialämter) nicht überwunden werden und der Zugang zu regulären Arztpraxen von verschiedenen Seiten auch nicht hürdenfrei möglich ist.
Mit dem Modellprojekt „Verbesserung der medizinischen Versorgung wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen“ wurden von 2016 bis 2017 in neun Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe regelmäßige niedrigschwellige ärztliche Sprechstunden angeboten, um eine allgemeinmedizinische Grund- und Erstversorgung der Betroffenen sicherzustellen. Mit dem Modellprojekt reagierte die Landesregierung auf die Erkenntnisse einer Studie zur gesundheitlichen Versorgung wohnungsloser Menschen in Baden-Württemberg 2011.
Die Modellprojekte wurden vom Universitätsklinikum Freiburg evaluiert. Der Ergebnisbericht „Evaluation des Modellprojekts ‚Verbesserung der medizinischen Versorgung wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen‘ (MeWo) 2019“ (PDF) stellte fest, dass Angebote der medizinischen Grundversorgung in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe unbedingt notwendig seien, weil wohnungslose Menschen sonst keinen ausreichenden Zugang zur medizinischen Versorgung hätten. Die medizinischen Angebote für wohnungslose Menschen sind niedrigschwellig gestaltet und werden auch von anderen Personengruppen in Notsituationen genutzt, zum Beispiel geflüchteten Personen, Personen in aufenthaltsrechtlicher Illegalität etc.